Dem Nachbar seine Nachbarn

Kaum wird das Wetter wieder besser, schon verbringen die Jungs nebenan noch mehr Zeit draußen als zuvor. Doch statt sich im Wald rum zutreiben, stehen sie vor meiner Tür und lärmen rum. Scheinbar werden sie zum telefonieren nach draußen verbannt, wo sie ungehemmt in ihre Mobiltelefonen keifen. Seit kurzem haben sie sogar aufgerüstet und haben Handys mit eingebauten Ghettoblastern, für die man eigentlich einen Waffenschein verlangen sollte. Die Dinger sind nämlich so laut, dass man mit ihren Schallwellen die Tauben vom Hausdach schießen kann.

Mir kommt es vor, als wären die Kinder eh völlig mit ihren Telefonen verwachsen. Wie der Totembeutel eines Indianers scheinen die kleinen Brüllboxen die Seelen der Inhaber in Form von Telefonnummern und Fotos gespeichert zu haben. Ich glaube, wenn man sie länger als eine halbe Stunde von ihren Geräten trennt, zerfallen sie zu Staub. Naja, aber auf jeden Fall geht ihr Sozialleben den Bach runter. Die ganze Zeit tippen sie wie Duracell- Hasen mit zu gebogenen Klauen verwachsenen Daumen auf die Tasten ein, um ihren Tageslauf zu planen. Ich habe mal gesehen, was einer da schrieb: – @maxi hi digga RoPla halb 4 n8- , stand da. Hä? Wer will denn so was überhaupt lesen? Ich finde, der ganze Wechsel zu Textnachrichten und Elektropost hat der zwischenmenschlichen Kommunikation das Blut ausgesaugt. Früher konnte man schon anhand der Handschrift entscheiden, ob ein Brief es wert war, gelesen zu werden. Das kann man ja heute vergessen. Auch das Entsorgen war früher leidenschaftlicher: Man konnte das Papier zerknüllen oder zerreißen, verbrennen oder auch ganz ordentlich glatt streichen und verwahren. Heute drücken die Kids einfach auf – Löschen- und futsch ist der Brief. Das finde ich lieblos.

Ein Brief verlangt einfach mehr vom Sender und Empfänger als eine Textnachricht oder eine Mail. Der Sender muss sich Gedanken darüber machen, wie er ein wichtiges Thema in den richtigen Worten verpackt, und der Leser aber muss den Inhalt des Briefes entschlüsseln und verstehen. So brauchen beide Muße und Konzentration, etwas, das in Textnachrichten und Emails weitestgehend verloren gegangen ist. Doch verleiht nicht die aufgewandte Zeit dem Ding einen eigenen Wert? Also habe ich einem der Fieselschweifer rüber gerufen, er solle es doch mal wieder auf die altmodischere Kommunikation versuchen. Schließlich freuen sich Eltern doch viel mehr über eine Großfahrtenkarte als über eine Email. Ich bin aber nicht sicher, ob er mich überhaupt gehört hat. Vielleicht sollte ich ihm einfach texten.

Online ist dir nicht retro genug? Kein Problem, du findest den Artikel auch im haddak 1/2008 auf Seite 32.

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