Da stehe ich im Vorgarten und gebe meinem geliebten Buchsbaum mit dem Geschick eines wahren Könners die Form eines Akkordeons, da sehe ich die Pfad!nder schon wieder wie eine Meute betrunkener Hundewelpen aus der Tür ihres »Heimes« quellen. Alle halten riesige Handtücher in den Händen und es dauert keine zehn Sekunden, bis einer auf die Idee kommt, seines als Nahkampfwaffe einzusetzen. Klatsch – das Opfer sucht wie ein betrunkener Seemann und bedankt sich mit einem knallenden Gegenangriff. Sofort mischen sich die anderen ein. Bei meiner Nachbarin Frau Lühr am Fenster macht sich langsam die kalte Panik breit. Junge Wilde! Runter mit dem Rollo, bei denen weiß man ja nie. Und der Chef der Bande ist auch nirgendwo zu sehen. Doch, da kommt er. Aber eingreifen kann auch er nicht, schließlich hat er die Arme voll mit knallig blauen Magazinen. Ohne sie fallen zu lassen, versucht er für Ruhe zu sorgen. Ein paar Kraftausdrücke später ist seine Autorität wieder hergestellt und er lässt antreten. Jeder bekommt eines der komischen Heftchen und im Halbkreis aufstellen. Nun das Handtuch vor sich auf den Boden legen, locker hüpfen und die Arme und Beine ausschütteln.mEr macht es vor. Dann ein paar Kniebeugen, Liegestütze und Strecksprünge. Kann den teigigen Bälgern nur gut tun, !nde ich. »So, seid ihr jetzt alle warm?«, fragt er seine Bande. »Dann wird gelockert, damit sich keiner was zieht.« Also lassen sie die Arme kreisen wie eiernde Windmühlen, rollen die Nacken hin und her und strecken sich dorthin, wo sie ihre Zehen vermuten. Keine fünf Minuten sind vergangen und schon keuchen sie wie asthmatische Kumpel mit Staublunge. Der Chef winkt ab, alle nehmen das Heft zur Hand und schlagen es auf. Eingehendes Studieren. »Denkt dran Leute, der Schwung muss aus der Hüfte kommen, nicht aus den Armen«, erklärt der Alpha-Pfadi. »Sonst wird das nie was in Finnland!« Aus den Hüften? Ich kann nur noch staunen. »Ich mach‘s nochmal vor«, lässt er verlauten und vertauscht Heft mit Handtuch. Nimmt die Enden des Tuchs in beide Hände, geht ein bisschen in die Knie und holt tief Luft. Plötzlich fängt er an, das Ding wie wild geworden in einer irrwitzig komplizierten Bewegungskombination durch die Luft zu schwingen. Das macht er so schnell, dass mindestens einmal das eine Handgelenk durch das andere geglitten sein muss. Schwung um Schwung schleudert er seinen Jüngern entgegen, die von den Sturmwinden fast weggeweht werden. Offenmäuliges Staunen. Und jetzt alle. Es wird gewedelt, was das Zeug hält. Der Schweiß rinnt nur so aus den gegelten Haaren und hinterlässt einen glänzenden Film auf den Hemdkragen. Hektisch wirbeln sie die Handtücher über dem Kopf, unter den Armen durch und wieder in die Ausgangsstellung, doch das Ergebnis ist mager. Für mich sieht das alles so aus, als versuchten sie alle gleichzeitig die Bundesligatabelle zu tanzen. Da hilft weder das wilde Blättern in den Heftchen noch ihr Schlachtruf: »Finnland, wir kommen!« Nach einer halben Stunde ist Schluss mit dem Trauerspiel. Der Vorturner sammelt die Tücher ein und verteilt hier und da noch ein paar Tipps fürs Üben zu Hause. Nicht alle sind so motiviert wie er. Warum sie das überhaupt machen, fragt einer. Die Antwort vom Chef spricht für sich: »Wir sind halt Allzeit Bereit. Auch in der Sauna.«
Dem Nachbar seine Nachbarn
Ein Artikel aus dem haddak 1/2009 aus der Rubrik Manege. Du brauchst etwa 2 Minuten, um den Artikel zu lesen. Nimm dir die Zeit!
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