Dem Nachbar seine Nachbarn

»Hurra: Zürkusforstelung von der Meute um drei Ur im Innenhof vom Heim« stand da an der Eingangstür ihres … Hauptquartiers, in krakeliger Kinderschrift auf grell-gelbem Plakat mit rätselhaften Gestalten drauf. Selbstgemalte Clowns oder so. Ganz sicher mit viel Liebe gemalt, aber mehr auch nicht. Meute, aha! Oh je! »Zürkusforstelung«! Also die schon wieder, mit einer Zürkusforstelung diesmal, da werd’ ich natürlich nicht hingeh’n. Dieser verhaltensgestörte Haufen. Das kann ja heiter werden! Ich machte mir sicherheitshalber eine Notiz im Kalender.

Da sind sie. Optimaler Blick auf besagten Innenhof, von meinem Küchenfenster aus. Sie hatten eines von diesen schwarzen Tipis aufgebaut, in dem schlecht unterdrücktes Kichern, gegenseitiges Mundverbieten, hastige Anweisungen und Letzter-Drücker-Kostümtransfers vor sich gingen. Das Publikum strömte – naja, so wie halt knapp zwanzig Mamis strömen können – herein und setzte sich erwartungsvoll auf die bereitgelegten Zuschauerlogenranzteppiche auf dem Boden. Da saßen auch schon die Obergurus des Haufens mit ihren verschiedenbunten Halsschlingen. Die in der »Zuschauerloge« eintretende Ruhe machte den Tipiinhalt offenbar nervös, das Ding wackelte und gab Laute wie »Hey!« und »Jetzt?« und »PSCHT!« und »Geh jetzt!« von sich. Eins der Gören wurde rausgeschubst und polterte vorwärts, strauchelte, fing sich aber kurz vor den Zuschauern. Diese Zirkusdirektorin stemmte die Fäuste in die Hüfte, legte den Kopf in den Nacken – wohl um doch einen kleinen Blick unter die Hutkrempe zu erhaschen – und krähte: »Herzlich Willkommen im Zürkus. Wir haben uns was überlegt.« Was überlegt, soso! Diese unerhörte Begebenheit verdiente scheinbar eine bedeutungsschwangere Kunstpause. »… was kommt jetzt nochma?« flüsterte es. Verlegenheitspause also. Text vergessen. »Boah Sarah, die Jonglierer natürlich!« Kichern. »Einen Applaus für die Jonglierer!« und schwups stolperte eine Menge gackernder Kinder aus dem Tipi, formierte sich und startete ein angsteinflößendes Bombardement auf sich und die Umgebung. Mitliebeselbstgemachte Jonglierbälle aus mit Reis gefüllten Luftballons waren das. Deren Reiskörner fanden sich umgehend bei Akteuren wie Zuschauern. Jedenfalls barg dieses schwarze Tipi schier unmögliche Mengen an Kindern, die in verschiedenen Formationen herauskamen und mit Springseilen, Clownsnasen, Pferdekostümen herumhampelten, was bei den Mamis Tränen der Entzückung verursachte. Immer abwechselnd mit dem kleinen krähenden Direktorinnen- Gör.

Und zum Schluss natürlich die obligatorische Menschenpyramide als dröhnendes Finale. Die Mamis rutschten nervös hin und her beim Anblick des schwankend getürmt-gestapelten Konstrukts aus dünnen Ärmchen und Beinchen und schlenkernden Halsschlingen. Mit einem »Hepp!« wurde das mickrigste Kind mit Schmackes von einem der Obergurus auf die Spitze der Pyramide geschmissen. Applaus! Doch es konnte sich eben nicht halten, wedelte unbeholfen mit den Armen, verursachte eine Massenpanik mittlerer Stufe und letztlich den Zusammenbruch der Pyramide. Eine blutende Nase. Die anderen sprangen mit glitzernden Augen zum Unglücksraben und bearbeiteten ihn allesamt fachgerecht. Verrenkten sämtliche seiner Gliedmaßen und kreischten Dinge wie »Stabile Seitenlage! « »Kopf in den Nacken!« »Nein!« »Doch, Du Blödi«, untermalt vom Tumult des Publikums und den gebieterischen Rufen des Obergurus, der jetzt einen Arm des Opfers zu fassen kriegte und aus dem Rudel verrückter Kinder herauszog. Es rannte umgehend plärrend zu einer der schockierten Mamis. Das krähende Hut-Gör vollzog ganz unbeeindruckt einen eleganten Schwenk zu »Das wa-hars! Danke für die Aufmerksamkeit! Tädääääh!« und zu einer ungelenken Verbeugung.

Da kann man ja nur den Kopf schütteln, bei dieser fragwürdigen Geschichte, eine Zürkusforstelung, also wirklich! Zum Glück bin ich nicht hingegangen.

Online ist dir nicht retro genug? Kein Problem, du findest den Artikel auch im haddak 1/2012 auf Seite 44.

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