Unterwegs sein, fahren, Fahrten, tippeln. Alles geläufige Begriffe unserer Spezies. Darüber ist viel geschrieben und beschworen worden; sowohl im Lied, im Bildhaften, als auch im klassischen Fahrensbericht. In diese Reihe soll sich hier nicht angestellt werden. Vielmehr soll an dieser Stelle wesensverwandten Spuren in der Aussenwelt, im Zivilleben, in der Alltagskultur nachgespürt werden. Schnittmengen gefunden werden…und der Einstieg dazu ist leichter als man denkt. Da genügt schon der kurze Blick in die Bestsellerlisten des hiesigen Büchermarktes. Allerlei bekannte Namen schildern da ihre ach so neuen Erfahrungen auf ihren wieder entdeckten eigenen Füßen.
Das Wandern erlebt seit fünf, sechs Jahren einen Aufschwung hin zur Trendsportart. Nicht weniger als 30 Millionen Deutsche wagen angeblich regelmäßig Touren hinaus in die Natur. Darunter, das jedenfalls behaupten die Statistiken, immer mehr junge. Vielleicht liegt das auch daran, dass der Spaßgeneration nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes und dem Warten auf Selbiges der Neuen Mitte schlicht das Geld für einstige Fun, Action und Zerstreuung fehlt: statt sich mit Bungee Jumping oder Rafting zu brüsten, hält man sich heute schlichter fit: mit dem Laufen durchs Grüne. Einen ersten Guru jedenfalls hat die neue Wanderbewegung schon ausgemacht: Galt Harald Schmidt als unangefochtene Gallionsfigur der ironischen Popgeneration, läuft ihm seit einiger Weile, gewissermaßen im wahrsten Sinne des Wortes, sein bislang unauffälliger Nebenmann Manuel Andrack den Rang des Trendsetters ab. Denn Andrack nutzte die Pause seines Chefs dazu, um ein erstes Wanderbuch zu schreiben, dem dann auch bald ein zweites folgte. Hierin berichtet er von verschiedenen Touren quer durchs deutsche Mittelgebirge. Und er verfolgt mit seinem Buch durchaus eine Mission, wie bereits der erste Titel „Du musst wandern“ verrät. Eine Quasibeschönung des Wander-Gens zum Wandern gehen.
Ob das Wandern den Deutschen nun tatsächlich im Blut liegt, wie Manuel Andrack behauptet, ist wohl eher zweifelhaft. Tatsache aber ist: Seit der Romantik gilt Wandern als die ursprünglichste aller Fortbewegungen. Seitdem nämlich zieht es den Homo Germanicus vermehrt in den Wald. Oder besser gesagt: in die Waldeinsamkeit (lies mal bei Herrn Novalis). Denn dort, so propagierten die Romantiker, könnte man, alleine mit sich und der Natur, niemand Geringerem als Gott begegnen. Irgendwo dazwischen wuchs in dieser Sicht dann auch die wundersame, sehnsuchtsgeschwängerte Blaue Blume. Um dann die ersehnte –unio mystica- den magischen Kontakt mit Gott, zu erlangen, bedarf es beim Laufen durch Wiese und Gestrüpp keiner Vorbildung wie in der Kunst. Man läuft einfach los und erntet Gottes Segen. Wahnsinn! So leicht stellten sich das die Romantiker vor. Weswegen das Wandern in der Folge schnell zum deutschen Initiations-Ideal schlechthin avancierte. Vornehmlich junge Männer eiferten und geiferten für Jahrhunderte um die Wette und zogen zu Fuß in die Welt hinaus: in der Hoffnung, als reifere Persönlichkeiten zurückzukehren.
Unter den Nazis allerdings wurde aus der deutschen Wander-Bildungslust dann ein blutig- martialisches Marschieren, was dem gefälligen Tippel an frischer Luft nach dem Untergang des Dritten Reiches jahrzehntelang anhing. Für manchen stehen Pfadfinder und Wandervögel deswegen bis heute im Ruch einer deutsch-nationalen Gesinnung. Man kennt das. Ein Vorbehalt über den Andrack nur grinsen kann. Und wenn in seinem Buch von der wechselvollen Wandertradition des Landes die Rede ist, dann in spöttischer Manier.
Weil jedoch nicht jeder ein so lockeres Verhältnis zur eigenen Wanderlust (übrigens ein Wort, das ins Englische übernommen wurde) entwickelt hat, wird sich umgekehrt schwer darum bemüht Wanderanglizismen zu schaffen. Das noch viel albernere Nordic Walking ist ja in aller Munde. Für Andrack, den selbsternannten Hüter des guten Wandergeschmacks, sind solche Ausdrücke allerdings reiner Schnickschnack und ebenso tabu wie Teuerklamotten oder Highend-Gehstöcke: Hiking, Walking, Trecking, nee! Also Trecking ist, wenn man jetzt wirklich im Himalaya unterwegs ist, okay, ja! Aber nicht, bitte schön, nicht Trecking in der Eifel! Recht hat er.
Wander-Tabus!
Wander-Tabus! Ja! Davon gibt es tatsächlich eine ganze Menge. Andracks Bücher entpuppen sich regelrecht als Wander-Knigges, in dem es vor ‚to do‘ und ’not to do‘ Ratschlägen wimmelt. Das fängt schon bei den strengen Begrüßungsregeln an, wenn man unterwegs ist: Also, man darf keine Spaziergänger grüßen, weil das würdelos ist, das sind also Leute, die gehen Nur-Mal-Sich-Die-Beine-Vertreten, und ein Wanderer, der hat halt eine richtige Tour vor sich. Den Jogger zu grüßen, das verbietet sich eigentlich eher durch die unterschiedlichen Fortbewegungs-Aggregats-Zustände. Also, das ist im Prinzip unfair dem Jogger gegenüber. Der Jogger der schwitzt gerade, der strengt sich an, und Wandern ist natürlich schon ein bisschen relaxter, ein bisschen entschleunigter. Und während ich dann da so fröhlich – Hallöchen!- sage, dann muss der Jogger da so – Hhallo-ouh!- entgegenkeuchen. Das ist unfair. Und Mountainbiker, die sind sowieso das Letzte, das sind Waldhooligans.
Laut dem Wandergentleman fällt Spaziergänger-, Jogger- und Moutainbiker-Grüßen in dieselbe Do-Not-Kategorie wie Rundwanderwege-Laufen. Denn die sind höchstens etwas für Kaffeetanten: Ich verachte Rundwanderwege. Rundwanderwege sind Autofahrerwege. Erst fährt der Naturfreund mit dem Auto auf den Parkplatz. Dann will er am Ende natürlich wieder am Auto landen, um gemütlich nach Hause zu fahren. Das ist nichts für mich! 90 Prozent sind zwischen 4 und 12 Kilometer lang. Und was soll man dann nachmittags machen? Oft führen sie über breite Waldschneisen, wo man auf viele ältere Damen und Herren trifft, die sich nach ihrer Kirschtorte einen Verdauungsspaziergang gönnen. Solche Wege empfinde ich als Höchststrafe für jeden Wanderer.
Der spät überzeugte Nicht-Raucher, Nicht-Autofahrer und Äko Andrack präsentiert sich in seinen Wanderbüchern wie TV-gewohnt als Pragmatiker mit ausgeprägtem Umweltgewissen. Bei ihm plant ein guter Wanderer seine Touren nicht nur akribisch im Voraus. Er rechnet auch beflissen seine WDG aus: seine Wanderdurchschnitts-Geschwindigkeit. Ansonsten reist sympathisch bewusst natürlich stets mit der Bahn an. Er wählt seine Wanderkleidung nach rein nützlichen Kriterien wie etwa ihrer Knotbarkeit aus. Und er schätzt am Wandern vor allem den Wellness-Faktor einer Entschleunigung. Sei es der Frust über den x-ten Abstieg des 1. FC Kölns oder die Pause vom dumpfen Fernsehgeschäft, wie es im Vorwort heißt: wenn Andrack dem Wandern überhaupt noch eine spirituelle Dimension zugesteht, dann höchstens jene eines buddhistisch anmutenden An-Gar-Nichts-Denken-Müssens . So einfach ist das.
Passend zur neuen Bescheidenheit plädiert der Kölner Wandermissionar für die kleinen Freuden la Butterbrot und Begegnungen in seinen Tour- Berichten, die er mal mit Freunden, mal mit der Familie, meistens jedoch ganz alleine unternommen hat. Ganz Stadtmensch im Frischluftwahn. Dabei klingt er immer ganz so, wie er wohl privat erzählen würde. Etwa dort, wo er den verliebten Goethe im Harz locker als spitz wie Nachbars Lumpi bezeichnet. Das hat Kurzweilcharakter. Oder auch dort, wo er mit seinem Wanderkumpan Viktor darum konkurriert, wer sich beim Bergaufstieg öfter auf die Fresse legt. Insgesamt jedoch wirkt Andracks Wanderbericht wie der Vortrag eines netten Nachbarn von nebenan, der einem gewissermaßen sein privates Fotoalbum mitgebracht hat und nun unbedingt davon überzeugen möchte, wie gut Bewegung an frischer Luft tut. Und das gelingt ihm zweifellos. Das Lesen macht einem wirklich Lust, mal wieder die eigenen Stiefel zu schnüren; wenn man wieder viel zu oft nur aus dem Zug- oder Autofenster Waldnähe zu sehen bekommt. Umso mehr als sich Andrack in Fragen der Tourenverpflegung zum Glück rheinisch locker gibt. Als ehemaliger Bierbotschafter ist der gebürtige Kölner nämlich davon überzeugt, dass Wandern und Schmausen untrennbar zusammengehören.
Wandern ist die einzige Sportart, wo man mittags irgendwie ein Steak und drei frisch gezapfte Pils zu sich nehmen kann. Und es geht einem trotzdem noch gut nachmittags. Wenn man das in der Mitte von einem Marathon machen würde oder beim Skilanglauf wäre das nicht so zu empfehlen. Aber es muss ja auch ein bisschen Spaß machen.
Manuel Andrack, Du musst wandern (2005), Verlag Kiepenheuer und Witsch, 218 Seiten, 8,90 €
Manuel Andrack, Wandern (2006), Verlag Kiepenheuer und Witsch, 219 Seiten, 8,95 €
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