Die Sonne brennt auf den heißen Sand hernieder und sticht in den Augen. Langsam schiebt sich das notdürftig geflickte Motorrad über die grobe Piste durch die Wüste Afghanistans. Immer wieder müssen die beiden Reisenden absteigen und schieben. Sie haben Durst und schwitzen, sie sind an diesem Tag schon viele Stunden unterwegs. Da endlich in der Ferne: Ein Grenzposten. Pakistan ist in Sicht.
So beschreibt der ehemalige Wandervogel Oss Kröher die Szene in seinem Buch »Das Morgenland ist weit«. 3000 Kilometer haben der Autor und sein Freund bereits zurückgelegt, doch sie sind noch lange nicht am Ende. Das Ziel der Reise ist Indien.
Die Fahrt beginnt sechs Jahre nach Kriegsende am 15. März 1951 im rheinland-pfälzischen Pirmasens. Das Fahrzeug ist ein Motorrad der NSU-Werke aus der Vorkriegszeit, das Gepäck stapelt sich auf dem Beiwagen und als Reiseproviant wird noch schnell eine Salami des Metzgermeisters verstaut. Die Aufgabenverteilung der 24-jährigen Indienfahrer ist klar: Gustav fährt und repariert, Oss sitzt hinter ihm auf dem Sozius und kocht. Geschlafen wird im Zelt, die Fahrtenkasse wird mit Musik- und Zaubervorstellungen aufgebessert.
Auf 662 Seiten zeichnet der Autor mehr als 45 Jahre später das Abenteuer für die Leser nach. Im lebendigen Stil eines angenehmen Erzählers geht es mit Oss und Gustav zuerst nach Süden durch Österreich und Italien. Dann wendet sich die Route nach Osten um über Griechenland die Türkei zu erreichen. Von dort windet sie sich weiter durch Syrien, Jordanien, Irak, Iran und Afghanistan um dann nach Pakistan in Indien zu enden.
Bettler und Huren, Diplomaten und Musiker, Soldaten und Studenten bilden ein wildes Panorama des puren Lebens.
Dabei entdecken die Morgenlandfahrer eine abenteuerliche Welt: Bettler und Huren, Diplomaten und Musiker, Soldaten und Studenten bilden ein wildes Panorama des puren Lebens. Immer wieder stehen sie dabei auf Bühnen und präsentieren ihre Zauber- und Musikshow als das Duo »Corano«. Gustav Pfirrmann an diesem Punkt Gustav kann Feuer schlucken, BHs aus der Innentasche von Diplomaten zaubern und sich problemlos von Handschellen befreien. Außerdem spielt er begnadet Akkordeon, was gemeinsam mit dem Gitarrenspiel und Gesang von Oss immer wieder das Publikum begeistert.
Aber schnell wird klar, dass es keine einfache Fahrt werden wird. Oft haben Oss und Gustav mit Rückschlägen zu ringen. Probleme mit der Polizei und Grenzbeamten drohen die Reise vorzeitig zu beenden. Auch die Maschine scheint den Anforderungen kaum gewachsen zu sein und muss umständlich repariert werden. In Pakistan werden sie sogar Opfer eines Saboteurs, der ihnen Eisenspäne in die Ölwanne streut – offenbar wegen des Schildes am Beiwagen mit der Aufschrift »Germany – India«.
Aufhalten kann sie das jedoch nicht. Die schiere Freude daran, neue Länder zu entdecken und neue Menschen kennenzulernen ist auf jeder Seite des Buchs spürbar. Wo auch immer sie hinkommen, treffen die Abenteurer auf neue Freunde. Sie genießen es merklich, aus dem Nachkriegsdeutschland auszubrechen und die Welt in ihrer ganzen Vielfalt erleben zu dürfen. Unbekannte Sprachen, faszinierende Geschmäcker und Geschichten bis dato fremder Kulturen reißen Oss und Gustav mit. Knapp anderthalb Jahre und viele tausend Kilometer später ist die Welt nicht mehr dieselbe. Sie ist größer geworden, bunter und lebendiger. Länder, die früher nur von Landkarten oder aus Büchern von Karl May und T. E. Lawrence bekannt waren, sind erlebt, gefühlt und geschmeckt worden. Oss und Gustav sind den Weg gefahren – nun können Leser ihnen nachfolgen. Wort für Wort.
»Das Morgenland ist weit – Die erste Motorradreise vom Rhein zum Ganges«
Von Oss Kröher
ISBN: 978-3-89405-165-5
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