Regenverhangene Wolken verdecken den weißblauen Himmel Bayerns, als wir uns früh morgens auf den Weg in den urischen Osten unseres Bundeslandes machen: Wir wollten die tiefen Wälder des bayerisch-böhmischen Waldes durchforsten. Mit der Bahn kommt man sehr gut in diese grüne Grenzregion. Allerdings werden die Züge immer langsamer und kürzer je näher man seinem Ziel kommt. Zunächst passieren wir Nürnberg, Parsberg, Regensburg, dann Obertraubling, Straubing und Plattling, später Zwieselberg, Zwiesel und Unterzwieselau bis die Eisenbahn gemächlich in Bayerisch Eisenstein einrollt. Direkt vom Bahnsteig aus kann man schon die bewaldeten Bergbuckel und schwingenden Kammlinien erblicken, auf welchen immer wieder die sogenannten »Schachten« als einstige Weideflächen das rhythmische grüne Muster der Hügellandschaft durchbrechen.
Acht Eiszeiten haben die markanten Züge dieses alten Mittelgebirges geprägt und den Großen Arber, den Osser und den Falkenstein in die Höhe wachsen lassen.
Die Regenwolken sind uns leider auf den Fersen geblieben. Um ihnen zu entkommen legten Groß und Klein unserer Elfergruppe einen Zahn zu und marschiert feucht fröhlich wie rasant aus dem Städtchen in den Urwald. Dieser wilde Tann im Osten Bayerns, erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts Bayerischer Wald genannt, reicht vom Chamer Becken bis hinunter ins Passauer Umland an der Donau. Er hat auf tschechischer Seite seine Ergänzung im Böhmerwald. Acht Eiszeiten haben die markanten Züge dieses alten Mittelgebirges geprägt und den Großen Arber, den Osser und den Falkenstein in die Höhe wachsen lassen. Von Bayerisch Eisenstein folgten wir quasi blind den Wanderwegmarkierungen und sahen uns bereits wenig später von Kiefern umringt. Die Luft war frisch und auch der Regen konnte die Stimmung nicht drücken. Da es zu dämmern begann suchten wir uns einen netten Platz im Gehölz, um unsere Heringe in das feuchte Laub zu rammen.
Die Nacht war ruhig und Tropfen, die auf die Planen prasselten, weckten uns sanft am nächsten Morgen. Wir ließen das Gröbste herunterkommen bis wir uns aufmachten. An den Wegen liefen kleine Bäche die Berge hinunter, die wir hinauf stapften. Gegen Mittag, wir hatten uns schon an unsere schicken Ponchos gewöhnt, schimmerten Sonnenstrahlen durch die Baumkronen. Unser erstes Ziel war der See Cerné jezero, ein wahrlich idyllischer Bergsee umrandet von kieferngrünen Erhöhungen. Eine Mittagspause lang durften wir die Schönheit dieses stillen »Schwarzen Sees« genießen, der der größte, tiefste und niedrigst gelegene See im Böhmerwald ist. Erneuter Regen trieb uns in den schützenden Wald, um einen Gurkensalat ohne Essig im Dressing, dafür aber trockenes Baguette zu verzehren. Es wurde etwas frisch, um an Ort und Stelle zu verharren. Die angedachte Route sollte uns eigentlich von diesem etwas größeren See zum kleineren namens Certovo jezero führen. Doch vor uns lagen noch einige Höhenmeter und Verwirrungen. Die Wege, welchen wir folgten, präsentierten uns ein vielseitiges Wechselspiel. Sie waren mal bemooste Trampelpfade, die uns durch dichten Wald führten, der unseren Köpfen ideenreichen Märchenzauber entlockte. Dann wandelten sie sich in tiefe, von großen Felsen und Steinen gesäumte Furchen, die scheinbar Forstarbeiter mit ihren schweren Maschinen wie Schneisen in den Waldboden gefahren hatten. An diesem Tag kamen wir recht bald von den anfänglich markierten Wegen ab und erklommen den Berg eher auf die Art eines Buschjägers. Oben angekommen sahen wir den verträumten See, der unser Ziel sein sollte, im Tal aufblitzen. Gegen Abend liefen wir nur noch nach ungefährer Himmelsrichtung. Über Stock und Stein sprangen wir, der eine mehr, der andere weniger beschwingt, durch den Wald. Wir hielten Ausschau nach einem netten Plätzchen für die Nacht, das ausreichend war, um drei Kohten aufzustellen. Es ging schon wieder bergab. Um nicht hinunter zu purzeln gaben die Bäume sich als entgegenkommende Helfer und dienten als Hangelmäste für den Abstieg. Die Sonne stand schon tief und der Boden war nun nicht mehr braun und kieselerdig, sondern von saftig grünem, strahlendem Gras bewachsen, ab und zu von Moosflächen angereichert. Die Bäume standen weiter auseinander und ließen die Abendsonne hier Lichtspiel treiben. Dieses Fleckchen war perfekt. Wir sattelten ab und während der eine Teil Holz sammelte und Kohten aufbaute, mussten zwei Auserwählte weiter ins Tal wandern, um ein Bächlein mit Wasser zu suchen. Unsere Flaschen waren nämlich so gut wie leer und auf der Strecke war trotz Regengüssen lange Zeit nichts mehr zu sehen gewesen.
Es vergingen einige Stunden, die Sonne hatte schon den Horizont geküsst und ihre Wärme war mit den letzten Strahlen verschwunden. Das Feuer wollte trotz aller Bemühungen nicht so recht entfachen. Jeder durfte mal seinen persönlichen Geheimtipp ausprobieren und als die Wassersucher zurückkehrten, loderte es schließlich doch. Pünktlich begann es zu regnen und wir schützten das Feuer mit dem Hopo voll Kartoffeln und einer kühnen Poncho-Dachkonstruktion. Die Nacht war kühl und feucht, aber zusammengerückt am Feuer ließen wir uns die Rosmarinkartoffeln gut schmecken. Die Umgebung weckte die Phantasie des ein oder anderen und ließ bunte Geschichten entspringen, die von Bergriesen und Feen erzählten… Der nächste Morgen bescherte uns Sonnenschein und wir konnten unseren Isomattenkreis inmitten des schönen langen Grases legen. Zwischen den Baumstümpfen und Büschen ließ es sich gut frühstücken. Die Vögel gaben die Hintergrundmusik. So waren wir gestärkt und motiviert für den Abstieg und die letzte Strecke bis zum böhmischen Teil von Bayerisch Eisenstein, Železná Ruda. Die Landschaft zeigte uns an diesem Tag noch ein anderes Gesicht. Kaum eine halbe Stunde später trafen wir nämlich auf eine weite Fläche voller umgestürzter oder abgebrochener grauer Bäume. Ein Feld toter Baumriesen. Nach dem beeindruckenden Moment des Entdeckens kam das Klettern und Balancieren. Wir hatten wagemutige Führer, nämlich die beiden, die am Vortag das Wasser gesucht hatten und den Weg circa bei Tageslicht nachempfanden. Es war schwierig über die Baumstämme zu kraxeln, machte aber auch Spaß und brachte Dynamik in die Gruppe. Wer läuft schneller drüber, wer stolpert und fällt wie oft… Wenig später folgten wir wieder den Furchen der Forstmaschinen und kamen nach einer Stunde auch endlich an den segensreichen Bach. Der plätscherte kaum hörbar am Wegesrand und spendete uns noch einmal sein erfrischendes Wasser. Nach einem kurzen Imbiss hajkten wir flotten Schrittes ins Tal. Unser Ziel war ja immer noch der Certovo jezero, übersetzt der Teufelssee. Obwohl wir ihn immer wieder vom Berg aus gesehen haben und auch bei jedem Klogang an unserem letzten Schlafplatz die entzückende Aussicht auf den tiefschwarzen See genießen durften, versteckte er sich nun unheimlich gut zwischen den Bäumen. Wir mussten erst durch ein Dorf und dann einem langen verschlungen Weg folgen, bis wir an sein Ufer kamen. Dort waren wir nicht allein: Eine Biologin wollte Wasser und Bodenproben vom Grund des Sees nehmen und war gerade dabei sich in ihren feschen Tauchanzug zu schmeißen. Am zulaufenden Fluss machten wir eine Rast, genossen die Sonne, bauten mit nackten Füssen im eiskalten Wasser einen kleinen Staudamm und sogar ein Wasserrad.
Kurz bevor wir die ersten Hunde bellen hörten und die Dächer von Železná Ruda erblickten, wurden unsere Stinkefüsse beim Durchqueren eines kleinen Flusses noch einmal zwangsgekneipt.
Weiter gings am späten Nachmittag. Kurz bevor wir die ersten Hunde bellen hörten und die Dächer von Železná Ruda erblickten, wurden unsere Stinkefüsse beim Durchqueren eines kleinen Flusses noch einmal zwangsgekneipt. Eine Allee führte uns ins Städtchen und auch der Bahnhof war leicht auffindbar. Wir wollten erst am nächsten Morgen abfahren, weshalb wir uns über die Gleise machten und im angrenzenden Waldgebiet ein Nachtlager aufschlugen. Verwunschen wirkte dieses Stück Land mit seinen natürlich belassenen Wäldern, Moosund Heideflächen ja schon die ganzen letzten Tage, aber dass um unsere Kohten herum verrostete Kochtöpfe und Pfannen wie Ketten von den Bäumen hingen, gab uns Rätsel auf … Welche Praktiken wurden wohl hier vollzogen? Wer feiert hier des Nachts und dekoriert die Bäume mit Kochutensilien? Ein letztes Mal für diese Fahrt suchten wir Holz für ein Lagerfeuer und saßen im Kreis für die Singerunde. Die Jungs in Böhmen, die Mädchen in Bayern.
Wer noch mehr Fotos zu unserer Grenzgängertour anschauen möchte: www.raubvoegel.de/fotogallery/rv2009/
Mitreden!