»Über meiner Heimat Frühling, seh’ ich Schwäne nordwärts ziehen…« – fast in jeder Singerunde des Bundes wird dem aufmerksamen Zuhörer früher oder später eine deftige Portion Nordlandromantik eingeschenkt. Doch wie weit die Faszination mit dem Hohen Norden eigentlich zurück geht, ist oft nur Wenigen bewusst. Deshalb nehmen wir das anstehende Bundeslager zum Anlass, zwei Werke von bekannten bündischen Urgesteinen vorzustellen, die sich konkret mit der Fahrtenerfahrung in Schweden, Norwegen und Finnland auseinandersetzen: Der »Fahrtenbericht 29« (Lappland) von tusk und »Nordwärts hoo!« von Turi. Zeitlich wie auch stilistisch liegen die beiden Chroniken weit auseinander. tusk bereist mit seiner Horte Lappland schon in 1927, während Turi die Geschichte seiner Nordlandfahrt hingegen erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges aufgezeichnet hat. Dieser zeitliche Unterschied schlägt sich sowohl im Ton der Texte als auch in den Figuren selbst nieder, die beide durch ihre verschiedenen Erfahrungen und Hintergründe geprägt sind und somit dem Leser andere Blickwinkel auf das Fahrtendasein eröffnen.
So schildert tusk seine Fahrt nach Lappland in einer lebendigen Ernsthaftigkeit, der man sich als Leser schwer entziehen kann. Immer wieder scheinen Erfahrungen und Gedankengänge durch, die einem selbst auch von Fahrten bekannt sind. Ob es nun das tagelange Tippeln oder die Suche nach einem Lagerplatz ist, das Zusammentreffen mit Menschen fremder Kulturen und das langsame Verstehen des Anderen – immer wieder schafft es tusk, das Interesse der Leser mit seiner ernsthaften und nüchternen Schreibe zu fesseln.
Dabei berichtet der »kleine Deutsche« nicht nur vom Fahrtenalltag seiner Horte im kalten Norden Lapplands, sondern lässt auch tiefere Gedanken über sein Tun, das Land und die Menschen durchklingen. Hier offenbart er sich nicht nur als charismatischer und verantwortungsvoller Fahrtenführer, sondern auch als reflektierender Beobachter und eindringlicher Botschafter. Zusammen ergibt sich eine feine Mischung aus Fahrtenromantik und Reflexion, die durch den schnörkellosen Stil tusks noch weiter ausgefeilt wird.
Als interessanter Kontrast dazu erweist sich »Nordwärts hoo!« von Turi, der von einer dreimonatigen Großfahrt seiner Mannschaft von »Piraten« durch die skandinavischen Länder inklusive Finnland erzählt. Leicht und gradlinig kommt er daher, munter lässt er seine Leser an der abenteuerlichen Reise zu Fuß, im Auto oder Zug und sogar im Gummiboot durch den Hohen Norden teilhaben. Mit spitzer Feder und feinem Witz skizziert er die einzelnen Episoden, ohne je ins Schwermütige oder Platte abzugleiten.Mit dieser lockeren, feingliedrigen Erzählweise genügen oft nur wenige Worte, um die Jungen seiner Horte, die Orte und Personen, denen sie auf der Fahrt begegnet sind, klar auf den Seiten entstehen zu lassen. Dabei gibt er sich so ungezwungen und entspannt, als säße man mit ihm zusammen beim Feuer. Auch erliegt er nicht der Verlockung, ins Romantische abzurutschen: »Nordwärts hoo!« führt nicht ins Mystische oder intellektuell Verklärte, stattdessen sind es oft gerade die beiläufig erzählten, alltäglichen Dinge, die den Leser am meisten fesseln. Ob es die Geschichte vom Angeln ist, das lange Warten beim Trampen oder die Verständigung mit Einheimischen per Hand und Fuß – gerade in diesen unterhaltsamen Wortperlen offenbart Turi augenzwinkernd sein feines erzählerisches Talent.Dass er es bei seiner Fahrtengeschichte mit der Wahrheit nicht so genau genommen hat, sei ihm nicht vorgeworfen. Obwohl manche Quellen sogar den gesamten Inhalt des Büchleins für frei erfunden halten, schmälert das den Reichtum an Abenteuer, Witz und Fahrtencharme in den Seiten nicht. Ob erfunden oder wahr: »Nordwärts hoo!« ist so oder so eine höchst unterhaltsame Fahrtenlektüre. Und nicht zu vergessen – Karl May hat’s ja auch nicht anders gemacht.
Wer jetzt also noch nicht für die langen Zugfahrten und Wartesäle vorgesorgt hat, sollte ruhig einmal wagen, die Nase in die Fahrtenberichte von tusk und Turi zu stecken. Wenn sie sich auch im Stil (und im Wahrheitsgehalt) unterscheiden mögen, in einem sind sie sich gleich: In beiden brennt der Funke für die Fahrt, das Feuer für die Länder im Norden und der Wunsch, den Leser an ihrer rauen, wilden Schönheit teilhaben zu lassen.
Buchtipp
- Kurt Kremers (Turi): Nordwärts hoo! (Piratenbücher 1). Verlag der Jugendbewegung. 132 Seiten. 9,80€.
- Eberhard Koebel (tusk): Fahrtenbericht 29. Verlag der Jugendbewegung. 104 Seiten. 9,80€.