Und so erwischte es mich doch: Einen Artikel für den haddak schreiben, einfach so, ein Sprung ohne Anlauf. Worum soll es wohl gehen? Um einhundert Jahre Pfadfinder und die Frage ob die ganze Pfadfinderei noch aktuell ist. Aber worauf soll ich mich beziehen? Wo soll ich anfangen? Genau wie es guter Brauch bei mir geworden ist, zu plötzlichen Geburtstagsfeiern ein Geschenk aus dem reich- haltigen Schatz meines Zimmers auszuwählen, greife ich nun in die Kiste von Texten, die mir in letzter Zeit begegnet sind und noch in meinem Kopf herumschwirren. Ähnlich der vielen Kleinode, die mir als Geschenkpotential beim durchwühlen meiner Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, hängt an jedem dieser aufgesammelten Gedanken noch etwas dran, dass sich zwar nicht in voller Länge ausbreiten lässt aber das vielleicht zwischen den Zeilen leicht hindurch schimmert…
Ja, einhundert Jahre Pfadfinder. Da könnte man sich und seinen Kollegen ja mal ausgiebig auf die Schulter klopfen und auf die nächsten hundert Jahre anstoßen, bei denen man kräftig mitmischen wird! Für mich ist es allerdings auch schwer interessant mal zu sehen, wie denn die so genannte Äffentlichkeit die Pfadfinderei sieht, die nun zum runden Geburtstag in ein mediales Scheinwerferlicht getaucht wird, dass sie so nicht gewohnt ist. Aufmerksamkeit ist ja eine feine Sache, zumal wenn man ein Anliegen zu vertreten hat, das eigentlich gar nicht genug Leute erreichen kann. Nun liegt es aber in der Natur der Sache, dass ein solches Höchstmaß an Aufmerksamkeit auch jene einlädt einen Kommentar abzugeben, die es sich anscheinend in einer verschlossenen Welt von Klischees auf ihrer Kommode mit zum bersten gefüllten Schubladen recht bequem gemacht haben. Und wer Vorurteile hat und sie zu bestätigen sucht, wird auch immer Dinge finden, die diese untermauern. Doch Respekt dem, der sich seiner Vorurteile bewusst ist und wirklich loszieht, sich überraschen zu lassen um so auch Dinge zu sehen, die nicht in seine vorgeformten und verstaubten Raster passen. Den meisten Menschen ist suspekt was sie nicht verstehen und was nicht in das Muster des Üblichen passt ist schnell Anlass zur Furcht, so wie der Fremde in modernen Gesellschaften oft nicht mehr als Gast sondern als Bedrohung der eigenen Gemeinschaft gesehen wird.
So lassen sich die Pfadfinder bequem in eine Reihe mit HJ und FDJ stellen
So kam es, dass ich in den Zeitungsartikeln anlässlich des einhundertjährigen Bestehens der Pfadfinderbewegung, Verschiedenes fand. Neben einem ausführlichen und wohlwollendem Artikel der ZEIT (09.08.2007), auch ein erschreckend einseitiger Artikel der taz (28.07.2007), dessen Zynismus einen jeden engagierten Vertreter naturverbundener Jugendarbeit schlucken ließ. Ausgehend von der Wandervogelbewegung findet der Ausdruck – Zurück zur Natur- nur als eine Art Schlachtruf Berücksichtigung, der in der Folge in den Dienst unzähliger Institutionen gestellt wurde. So lassen sich die Pfadfinder bequem in eine Reihe mit HJ und FDJ stellen. Abenteuer und Lagerfeuer verkommen zur Dekoration politischer Vereinnahmung und Baden Powell taucht vor allem als militaristischer Verführer der Jugend auf. Was an freiheitlichen Idealen nicht in die Argumentation passt, die von der Angst vor der Uniformität des Unbekannten geprägt ist, findet ein anderes Klischee. Die Eigenheiten der deutschen Jugendbewegung werden auf die Funktion eines Vehikels der sexuellen Befreiung reduziert, die in diesem Zusammenhang nicht als zivilisatorischer Fortschritt sondern als Fundament für sexuelle Übergriffe auf Minderjährige dient. – Die letzten noch existierenden Reste der Bündischen Jugend machen denn auch heute vor allem auf sich aufmerksam, wenn es mal wieder einen Missbrauchsfall zu beklagen gibt- . Als Beispiel für moderne Pfadfinderei gibt es Tick, Trick und Track und für die Motivation der realen Pfadfinder gilt – […] nachdem sie von ihren Eltern etwa bei der Pfadfinderschaft St. Georg angemeldet worden sind […] treten sie [prompt] wieder aus und treffen sich lieber mit ihren Altersgenossen an der Tankstelle.
Am Beispiel dieses Artikel lässt sich sehr schön erkennen, wie leicht es ist, den Teil der Welt den man nicht kennt und daher wohl auch nicht gleich versteht, in düsteren Farben und zynischen Worten zu beschreiben und einfach in die Schublade mit all den anderen Dingen zu stopfen, die einen ängstigen oder aus denen man sich keinen Reim machen kann. Wie wohltuend war dagegen der Artikel der ZEIT, zu dem mir sogar persönlich im Rahmen des Exploris Lagers ein paar freundliche Fragen gestellt wurden, die mich aus meinem wohlverdienten Mittagsschlaf rissen. Hier werden die vielen Facetten gezeigt, die gerade die Pfadfi nderei in Deutschland auszeichnen und auch die Errungenschaften einer gemeinnützigen und naturverbundenen Jugendarbeit herausgestrichen. Sicher ist es nicht immer alles Gold was glänzt und man sollte sich auch nicht nur mit der Politur der Oberfläche auseinandersetzen, aber wer rausgeht und das Fremde auf sich wirken lässt erkennt zumeist wohl seine Vielseitigkeit. Und auch unter der Oberfl äche vermeintlicher Uniformität zeigt sich innere Dynamik, die jederzeit einem offenen Betrachter die Angst vor dem Unbekannten zu rauben in der Lage sein sollte. Bedingung ist jedoch, dass dieser die Kammer mit seinen wohlbehüteten Vorurteilen verlässt und sich auch den Realitäten stellt, die nicht in sein zementiertes Weltbild passen. Im Artikel der taz taucht auch nicht nur ein einziger Beteiligter auf, der einen Standpunkt von innen vertreten könnte. Und es tut weh, wenn man den Großteil seiner Jugend diesem Projekt Pfadfi nder gewidmet hat und ein Großteil der so geformten Ideale vor einer großen Äffentlichkeit nicht nur verkannt sondern sogar einfach ignoriert werden. – Der Geist der Jugendbewegung ist jedoch schon lange tot- , kann man in der taz lesen. Eine Aussage die schon schwer schlucken lässt; zum Glück gibt es genügend Freunde die einem das Gegenteil beweisen. Doch was sagt uns das über die Rolle des Verfassers? Schließlich steckt in einem solchen Artikel nicht nur die literarische Präsentation einer Meinung sondern in seiner Aussage auch die Disqualifizierung von Millionen engagierter Pfadfi nder, die sich entschlossen haben nicht nur vom Schreibtisch aus die Welt mit Zynismus auf ihre Unvollkommenheit hinzuweisen, sondern sich der Idee verschrieben haben, im kleinen eine Gemeinschaft der Einfachheit und Verbundenheit aufzubauen. So kann es nur trösten, dass sich dort anscheinend noch eher das Rüstzeug und die nötige Offenheit für die Auseinandersetzung mit seiner Umwelt sammeln lassen. Wer loszieht, um in Gemeinschaft die Welt mit Rucksack, Gitarre und Zelt zu entdecken wird zwar vielleicht oft an seine Grenzen stoßen. Aber wenigstens werden diese so bewusst gemacht und es wird umso schwerer einfach alles was einem nicht passt auszublenden und in einer dunklen Kammer seine Angst vor dem Unbekannten in schmutzige Kisten zu packen.
Den Artikel – Allzeit bereit, immer bereit!- aus der taz vom 28.07.2007 findet ihr online unter: www.taz.de
Den Artikel – Fähnlein Unverzagt- aus der ZEIT vom 09.08.2007 findet ihr online unter: www.zeit.de
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