Immer Sommer waren die Medien voll mit Bildern von Flüchtenden über die Balkonroute (von Griechenland aus bis nach Mitteleuropa). Nach der Schließung der Balkanroute Anfang März »stauen« sich in Griechenland die geflüchteten Menschen – geschätzt über 50.000 Flüchtende befinden sich in Griechenland und davon alleine 11.000 in Idomeni, einem Camp an der mazedonisch-griechischen Grenze. Die meisten Menschen in Idomeni stammen aus Syrien. Aber auch viele kommen aus dem Irak, Afghanistan und Pakistan. Ende Februar sah ich Bilder von Idomeni in den Medien und da ich gerade Zeit hatte – frisch zurück aus dem Auslandssemester und die Uni und der Job hatte noch nicht angefangen – überlegte ich, was ich tun könnte. Fast zeitgleich sah ich einen Facebook-Post. Eine Freiwilligengruppe, die sich die »Voluntiere« nennen, suchte Unterstützung. Martin, einer der Gründer, hatte ich vor zwei Jahren auf einem Flug nach Ecuador kennengelernt. Er und die meisten dieser Freiwilligen stammen aus dem BdP. Also machte ich mich mit ihnen Anfang März auf Richtung Idomeni.
Vor Ort haben wir mit den Freiwilligen von den Voluntieren der holländischen NGO Aid Delivery Mission bei der Zubereitung von 11.000 Portionen Suppe pro Tag geholfen. Außerdem verteilen Freiwillige Kleidung, Decken und besonders dringend benötigte Schuhe an die Geflüchteten im Camp. Es gibt auch eine Informationsgruppe, die versucht den Flüchtenden alle neuen Informationen auf Arabisch, Englisch und Farsi zu übersetzen und zu verteilen. Dies ist gar nicht so einfach, denn die Informationen fließen nur spärlich, auch wenn Vertreter der UN vor Ort im Camp sind. Und dabei eröffnen sich immer weitere Fragen, z.B. »Wie sieht es mit Palästinensern aus, die vorher in Syrien gelebt haben?« Für viele Flüchtende in Griechenland ist zurzeit das »Relocation Programm« die einzige Möglichkeit in ein anderes europäisches Land zu kommen. Dieses Programm gibt es seit Oktober um Griechenland zu entlasten, die Menschen werden auf verschiedene europäische Länder verteilt. Bewerben können sich die Flüchtende über Skype, dafür brauchen sie aber erst einmal eine gute Internetverbindung (die es im Camp nicht gibt) und müssen dann noch durchkommen, da sie dort nur einmal pro Tag eine Stunde lang anrufen können. Einmal pro Tag für alle arabisch sprechenden Flüchtenden in Griechenland! Da ist natürlich meist besetzt.
Die Situation im Camp ist immer noch miserabel.
Außerdem gibt es die Möglichkeit Asyl in Griechenland zu beantragen. Auch dies ist kompliziert, da das Verfahren auch über Skype läuft und viele Flüchtende wollen zudem nicht in Griechenland bleiben, da sie Verwandte und Freunde in Deutschland, Schweden oder anderen Ländern haben und bei diesen sein möchten. Außerdem befindet sich Griechenland immer noch in der Finanzkrise und die wirtschaftliche Lage ist auch für die Einheimischen schon nicht einfach. Es gibt auch noch die Möglichkeit einer Familienzusammenführung, aber dieser Weg ist kompliziert und geht nur über direkte Verwandten (Eltern und Kinder).
Für 25 Euro können die Flüchtenden Bustickets nach Athen kaufen. Dort werden die meisten aber auch obdachlos. Manche von ihnen werden in Camps gebracht, die vom Militär geführt werden. Dort soll es aber nicht besser als in Idomeni sein. Viele sind schon wieder aus Athen, den Militärcamps oder Thessaloniki nach Idomeni zurück gekehrt. Auch wollen viele Flüchtende Idomeni nicht verlassen, da dieses Camp ja direkt an der Grenze ist und sie sich nicht weiter weg entfernen wollen. Hier sind viele Medien und Freiwillige vor Ort und in den militärischen Camps haben sie Angst von der Öffentlichkeit »vergessen« zu werden.
Durch die Medienberichte hat sich die Situation im Camp verbessert. Viele Freiwillige und NGOs sind jetzt vor Ort. War es bis vor kurzem nur Aid Delivery Mission (eine NGO, die nur mit Freiwilligen arbeitet und ohne festen Geldgeber auskommen muss), die warmes Essen angeboten hat, so gibt es jetzt weitere Küchen. Für die Flüchtenden bedeutet dies nicht mehr stundenlanges Anstehen für Essen. Vorher standen die Menschen teilweise vier Stunden an, um Essen zu bekommen. Das hat sich zum Glück verbessert!
Aber die Situation im Camp ist trotzdem immer noch miserabel. Gerade bei Regen verwandelt sich das Camp in eine riesige Schlammpfütze. Ihr könnt Euch das bestimmt von diversen Pfadfinderlagern vorstellen. Die meisten Menschen schlafen mit der ganzen Familie in kleinen Campingzelten, die nach einiger Zeit aber nicht mehr dicht sind. Zu so einem Zelt wurde ich gerufen mit der Frage, ob ich Kleidung für ein drei Tage altes Baby hätte. Als wir dann ins Gespräch kamen, vertraute die Familie mir an, dass es der Mutter schlecht ginge. Sie hatte vor drei Tagen ihr Kind mit einem Kaiserschnitt in einem Krankenhaus in der Nähe geboren und war direkt danach wieder in das Camp gekommen. Bei dem Versuch auf die Toilette zu gehen, fiel sie hin und die Wunde ging teilweise wieder auf. Ich kümmerte mich darum, dass die Frau ins Krankenhaus kam. Diese Begebenheit ist eine typische Geschichte für das Camp. Viele Einzelschicksale lernt man erst kennen, wenn man sich länger mit den Menschen unterhält (viele jüngere Menschen können Englisch und bieten sich schnell als Übersetzer an) und sie erst einmal Vertrauen fassen können.
Gefühlt ist das ganze Lager erkältet. Natürlich ist das nicht vermeidbar bei dem anhaltenden Regen und der fehlenden Möglichkeit, die Kleidung zu trocknen. Aber auch Lungenentzündungen, der erste Fall von Hepatitis A und Wundbrand zeigen, dass die hygienischen Voraussetzungen und die ärztliche Versorgung katastrophal sind. Viele Menschen haben Kriegsverletzungen und benötigen dringend Medikamente. Mit Ahmad, einem 24-Jährigen Studenten aus Damaskus, habe ich mich oft unterhalten. Er erzählte mir von der Universität und seinem früheren Leben. Ein paar Tage sah ich ihn nicht und als wir uns wieder im Camp trafen, ging er gekrümmt und unter Schmerzen. Er wurde in Damaskus auf dem Weg zur Uni von Soldaten angeschossen. Er kann nur laufen, wenn er die ganze Zeit Schmerzmittel nimmt und braucht außerdem noch bestimmte Medikamente. Es ist sehr schwer für die Flüchtenden das Camp zu verlassen, da sie keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen und auch nicht im Auto mitgenommen werden dürfen. Am nächsten Tag besorgte ich also in einer Apotheke die benötigten Medikamente. Für uns überhaupt kein Problem, können wir uns doch mit dem Auto bewegen. Aber für die Menschen im Camp ist dies nicht so einfach.
Anna, was würdest du an unserer Stelle machen?
Als Voluntiere haben wir vor Ort vorwiegend in der Suppenküche mitgeholfen. Die Suppe wird nicht nur im Camp sondern auch an anderen Stellen ausgeben. So leben an einer Tankstelle an der Autobahn oder in einem nähen Waldstück noch einmal 2000 Menschen. Außerdem haben wir Kleidung und Schuhe verteilt und haben eine Kinderbetreuung aufgebaut. Es wird geschätzt, dass 40 Prozent der Flüchtenden in Idomeni Kinder sind. Für die Kinderbetreuung haben wir mit der tatkräftigen Hilfe zahlreicher Camp-Bewohner eine Jurte aufgebaut. Wir hatten die Sprachbarrieren unterschätzt und ich glaube, wir haben den neuen Rekord für den längsten Aufbau einer Jurte gewonnen. Aber wir hatten viel Spaß dabei! Tagsüber wird dort nun Kinderbetreuung angeboten. Es wird gemalt, getanzt und gespielt. Abends haben wir Filme gezeigt, die den Menschen wenigstens eine kleine Abwechslung bieten konnten. Es war sehr schön zu sehen, wie Flüchtende und Freiwillige zu Mr. Bean gelacht haben.
Wie es weitergeht? Eine Evakuierung des Camps steht immer noch im Raum. Ansonsten klammern sich die Menschen an die kleinste Hoffnung und hoffen, dass sich die Grenze doch noch einmal öffnet. Viele Menschen versuchen, sich auf das »Relocation Programm« zu bewerben, aber wie schon berichtet, gibt es dabei einige Probleme.
Es waren zwei aufregende Wochen mit vielen interessanten Erfahrungen. Ich habe so viele tolle Menschen kennengelernt, Freiwillige und Flüchtende. Leider bekam ich am Ende hohes Fieber und ich konnte mich von vielen nicht mehr verabschieden. Für mich ist klar, dass dies keine einmalige Aktion war. Ich plane grade meinen nächsten Einsatz, nur habe ich gerade einen neuen Job angefangen, jetzt ist das nicht mehr so einfach. Ich versuche mich aber hier vor Ort einzubringen, denn auch hier gibt es genug zu tun! Z.B. helfe ich Saro und Mohammad, zwei jungen Syrern, bei der Wohnungs- und Jobsuche. Auch habe ich mit ein paar Flüchtenden aus Idomeni Kontakt über Facebook und Whatsapp und werde ihren weiteren Weg begleiten (»Anna, was würdest du an unserer Stelle machen?« ). Ich bin oft an meine Grenzen gestoßen durch die Erfahrungen, die ich dort gemacht habe und das Gefühl, nicht genug tun zu können. Besonders mitgenommen haben mich auch die Gespräche mit den geflüchteten Menschen und ihre Schilderungen von der Flucht und vom Krieg in Syrien. Immer wieder ist mir klar geworden, wie gut es uns doch hier geht und wie nah von hier Kinder nach einer Flucht aus dem Krieg im Schlamm spielen müssen.
Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Meldung, dass das Camp offenbar bis Ende Juni aufgelöst werden soll.
Mitreden!