Die Frage, was uns zusammenhält, hat eine hohe praktische Bedeutung. Sie stellt sich für uns in einer Zeit durchgreifender Veränderungen. Veränderungen gab es natürlich schon immer, aber wir leben heute in einer Zeit des permanenten, beschleunigten Wandels. Dahinter stehen globale technische, wirtschaftliche und soziale Entwicklungen. Die weltumspannende Kommunikation in »real time«, die mit Mobiltelefon und Internet begann, hat durch das so genannte Web 2.0 eine ganz neue Dimension erreicht. Diese Informations- und Kommunikationstechnologien, Flatrates und die zunehmende Mobilität von Menschen führen zu einer immer engeren Vernetzung. Einzelne Treffen oder kurze Absprachen haben sich auf dieser Grundlage geändert, die Lebensläufe Einzelner sind verschlungener geworden.
Es besteht die Gefahr eines beziehungslosen Nebeneinanders.
Die Gruppe DPBM im Beispiel studiVZ zählt bereits 300 Mitglieder, die Gruppe »Wir zelten schwarz« bald über 4.000 bei steigender Tendenz. Oder auch unsere Internetnacht, in den Anfängen von einigen belächelt, mittlerweile seit über 10 Jahren ein fester Bestandteil unserer Bundesangebote. Mit einer Teilnehmerzahl von 50 bis 100 Pfadfindern gehört sie wohl eher zu den großen Aktionen unseres Bundes. Diese Kommunikationsoptionen wirken sich auf alle Bereiche aus. Unser Bund ist augenscheinlich viel heterogener geworden. Dennoch sind wir im Verständigungswillen, in Toleranz und Offenheit, intern und auch im Kontakt zu anderen bündischen Verbänden auf hohem Kommunikations- und Kooperationsniveau. Wir lernen, dass Vielfalt eine Bereicherung und keine Bedrohung ist. Aber es besteht auch die Gefahr eines beziehungslosen Nebeneinanders und dass man übergreifende Anliegen im Meer der Informationsflut und Einzelinteressen aus den Augen verliert. Dazu trägt auch bei, dass sich die Lebenswelten von Jung und Alt zunehmend auseinander entwickeln.
Die Anforderungen an unsere Flexibilität bringen uns in eine Zwickmühle.
Darüber hinaus fordert die moderne Berufs- und Ausbildungswelt uns allen ein hohes Maß an Flexibilität ab. Zunehmend befristete Arbeitsverhältnisse, Auslandssemester, Ausbildungs- plätze und Berufsoptionen gepaart mit mehrfachen Umzügen lassen die Verwurzelung in unserem vertrauten sozialen Umfeld, unserem Stamm schwächer werden. Die Anforderungen an unsere Flexibilität bringen uns in eine Zwickmühle und stehen im Gegensatz zu unserem Grundbedürfnis nach Freundschaft und Partnerschaft, dem Wunsch nach Bindung, Zugehörigkeit und Verantwortungsübernahme.
Diese Entwicklungen schaffen also nicht nur neue Freiheiten, sondern auch neue Unsicherheiten. Man mag die damit verbundenen Probleme zwar beklagen, aber wir können das Rad nicht zurückdrehen. Wir können die Bedingungen nur begrenzt beeinflussen und ändern. Deswegen müssen wir uns so gut wie möglich darauf einstellen und die rechtzeitige Sicherung der Nachfolge im Auge behalten.
Jede Ordnung braucht ein möglichst hohes Maß an freiwilliger Übereinstimmung und gemeinsamen Vorstellungen, wie man lebt und zusammenlebt. Am Ende kommt es darauf an, dass wir uns ein Gefühl der Zugehörigkeit bewahren. Ganz ohne Einsatz und Zuwendung wird es nicht gelingen, dass wir uns so eingebunden fühlen, dass wir bereit sind, Verantwortung für und in der Gemeinschaft zu übernehmen. Wer sich nirgendwo zugehörig und aufgehoben fühlt – sei es in der Familie, seiner Stadt, im Verein oder in seinem Glauben –, wird sich schwer tun, den Punkt zu erreichen, an dem er Verantwortung übernimmt und sich für ein Anliegen engagiert. Deswegen ist unsere und jede freiheitliche Gesellschaft auch auf Identifikation, auf Vorbilder, Empathie, gemein- same Wertschätzungen, Erinnerungen und überzeugtes Eintreten für ein gemeinschaftliches Miteinander angewiesen. Unsere Gemeinschaft lebt davon, dass jeder eigenverantwortlich mit Blick auf das allgemeine Wohl handelt. Freiheiten und Verantwortung müssen Hand in Hand gehen. Dieser Gedanke liegt unserer Bundesurkunde zugrunde. Wachsende Vielfalt, Flexibilisierung, Virtualisierung und Mobilität dürfen nicht dazu führen, dass wir das Bewusstsein für das Ganze aufgeben. Wir müssen uns unsere Gemeinsamkeit bewahren und weitere schaffen, ohne die eine Gemeinschaft nicht bestehen und neue Herausforderungen nicht bewältigen kann. Uns als Bundesführung ist es wichtig, dies u. a. durch persönlichen Kontakt und Präsenz zu fördern und vorzuleben.
Unsere Gemeinschaft lebt davon, dass jeder eigenverantwortlich mit Blick auf das allgemeine Wohl handelt.
Unser Ziel ist es, die gemeinsame Basis des Zusammenlebens zu stärken, auf der niemand seine eigene Identität, seine kulturellen Wurzeln aufgeben muss, damit wir offen genug sind, um uns aufeinander einzustellen und uns als Teil eines Gemeinwesens zu fühlen. Meine persönlichen Glücksempfindungen in dieser Richtung finde ich z. B. in unserem doppelten Jubiläum 2008 in Form eines Singefestes, in den kommenden ringübergreifenden Sippenführer- schulungen, in dem motivierenden Dialog mit Älteren und Führungen in unserem schönen Bund, im Zusammenhalt meiner Roverrunde und nicht zuletzt in dieser Bundesfahrt. Was eine in sich vielgestaltige Gemeinschaft zusammenhält und ein Gefühl des Miteinanders in der Vielfalt entstehen lässt, hat auch damit zu tun, Konflikte auszuhalten und darauf vorbereitet zu sein. Es hat mit Bindekräften wie Toleranz, Respekt, und Vertrauen zu tun. Diese entscheidenden Weichen werden schon bei den Kindern und Jugendlichen in den Wölflings- und Pfadfinderstufen gestellt. Kinder, die in einer orientierungslosen Umwelt aufwachsen, tendieren mit einer viel größeren Wahrscheinlichkeit zu schwerer Integration und langfristiger Bindung. Hier müssen wir ansetzen und den Stufen weiterhin im Sinne unserer Ziele gerecht werden. Unterstützend möchten wir Euch an dieser Stelle weiterhin die Angebote unserer Schulungen ans Herz legen. Wir wünschen uns, dass Ihr diese noch mehr in Anspruch nehmt. Dies sehe ich als einen klaren Auftrag an die Führungen: durch frühzeitige und gezielte Förderung Eures potenziellen Nachwuchses könnt ihr die Voraussetzungen schaffen. Dabei reicht meist schon das zügige Weiterleiten der Informationen und die positive persönliche Ansprache.
Wir haben uns in letzter Zeit wieder gefragt: Was sind die Grundlagen unserer Gemeinschaft, wie können wir sie definieren und festigen, um unser Zusammenleben zu fördern? Erste Antworten auf diese komplexen Fragen haben wir uns beim letzten Bundesrat gegeben und schriftlich festgehalten. Der Konsens lag dabei zum einen in dem Verständnis für den Anderen. Zum anderen auf dem wichtigen Element und der Bedeutung der Fahrt. Der Fahrtenfreitag vor Pfingsten und der diesjährige Führungstippel sind aus dieser Frage hervorgegangen. Sicher sind dies nicht die einzigen Antworten, aber doch wichtige Wegweiser in die richtige Richtung und natürlich auch Grundlagen für diese Bundesfahrt.
Wir treffen uns hier, gemeinsam mit Jung und Alt, ganz ohne technische Spielereien, mitten in der schönsten Natur, um auch ein wenig dem Alltagstrott zu entfliehen und um die bestimmt schönste Zeit des Pfadfinderjahres zu verleben – und dafür fahren wir an einen der entlegensten Punkte Europas, in ein Land, das zu den technisch fortschrittlichsten weltweit gehört.
Gut Pfad,
Mitreden!