Survivalexperte, Abenteurer und Kämpfer für die Menschenrechte – Rüdiger Nehberg ist ein Globetrotter der alten Schule. So hat er unter anderem den Atlantik auf verschiedenen Konstruktionen überquert, ohne Nahrung im Gepäck Deutschland durchwandert und mit seinen Büchern (»Überleben ums Verrecken«, »Survival-Abenteuer vor der Haustür«) Überlebenstraining hierzulande hoffähig gemacht. Daneben setzt er sich mit seinem Verein TARGET (www.target-nehberg.de) intensiv für die Menschenrechte ein.
Herr Nehberg, die Welt wird immer kleiner. Internet und Fernsehen bringen die Ferne ins Wohnzimmer und überhäufen uns mit Informationen zu fremden Ländern und Kulturen. Brauchen wir da überhaupt noch Abenteuer?
Wer Internet und TV als Abenteuer einstuft, der weiß nicht, was ihm verloren geht. Was sind schon Bilder vom Schirm gegen eigenes Abenteuer? Okay, man kann sich heute auf der Flimmerscheibe besser informieren als früher, entsprechend besser vorbereiten und die Risiken minimieren. Aber wie das Wagnis wirklich ausgeht, entscheiden die vielen nicht planbaren Einflüsse. Es ist das »Restrisiko«, das ein Abenteuer erst ausmacht. Zum Beispiel der unplanbare Faktor Mensch, ein Knochenbruch, ein Schlangenbiss, der innere Schweinehund…
Sie haben zahlreiche Male Ihr Leben riskiert und Dinge getan, die für viele Menschen befremdlich oder abstoßend sind. Was inspiriert Sie dazu?
Meine Ziele. Auf einem massiven Baumstamm alleine über den Atlantik zu schippern, das hat doch was. Dem letzten frei lebenden Indianervolk, den Yanomami in Brasilien, damit Weltaufmerksamkeit zu sichern wegen der drohenden Vernichtung durch eine Armee von Goldsuchern, das ist Motivation pur. Und, aktuell, den größten Bürgerkrieg aller Zeiten, nämlich weibliche Genitalverstümmelung, in Zusammenarbeit mit der geistlichen Führungselite des Islam, zu beenden, das ist beispiellos und schenkt eine nicht mehr zu überbietende Lebenserfüllung.
Alles das »Befremdliche« mache ich ja nicht leichtsinnig. Vor jedem meiner Vorhaben habe ich die denkbaren Risiken analysiert und mich gegen sie gewappnet. Bestmöglich. Die Kampfschwimmer haben meine Angst vorm Wasser in geordnete Bahnen gelenkt. Vom Teufel habe ich gelernt, im Notfall Fliegen zu essen, von den Asiaten, Rattenfleisch, von den Steinzeitmenschen, wie man Steinklingen macht. Durch diese weitgehende Unabhängigkeit von der genormten, einschläfernden Zivilisation habe ich meinem Leben eine ungeahnte neue Dimension und Erfüllung gegeben. Als befremdlich und abstoßend empfinden meine Vorbereitungen und Fähigkeiten nur Mitmenschen, die sich selbst nichts zutrauen. »Igitt, der frisst Würmer!« Was mit anderen Worten heißen soll: »Was bin ich doch ein liebenswerter Saubermann.« In Wirklichkeit will man damit die eigene Feigheit kaschieren.
Es gibt einen schönen Spruch: »Wer mit der Herde geht, kann nur den Ärschen folgen.« Den beherzige ich und habe längst fünf Leben gelebt.
Auf Ihren Reisen sind Sie mit vielen Kulturen und Lebensumständen in Kontakt gekommen. Welche Persönlichkeiten und Erfahrungen haben Sie dabei besonders geprägt?
Die Lebensart der Yanomami-Indianer zum Beispiel. Ihre perfekte Kunst, ohne Mittel aus unserer Welt und ausschließlich mit denen ihres Regenwaldes existieren zu können. In Einklang mit der Natur. Sie kennen weder Überbevölkerung, noch Müll, weder den Drang nach Luxus noch den nach Fortschritt. Von dieser Bescheidenheit und der Harmonie mit der Natur könnten wir einiges lernen. Damit will ich nicht sagen, dass sie »edle Wilde« sind, wie Karl May es mir eingebläut hat.
Meine Vorbilder sind Gorbatschow, Nelson Mandela, Ghandi, oder jene höchsten muslimischen Geistliche, die sich von meiner Frau und mir in die Kultstätte Azhar-Universität haben einladen lassen und die menschliche Größe aufgebracht haben, ihre lebenslang vertretene Meinung zu revidieren. Sie haben den 5.000 Jahre alten Brauch der Verstümmelung weiblicher Genitalien zur Sünde erklärt. Das ist für mich Vorbildlichkeit.
Was ist Ihre Lieblingsgeschichte von Ihren Erlebnissen unterwegs?
Lest meine Bücher. Darin wimmelt es von solchen Geschichten. Okay, eine sei verraten: Thema Ekelüberwindung und cleveren Tieren die Beute streitig machen: Ich hatte einer Ringelnatter den verspeisten Frosch aus dem Magen massiert. Das wurde im ZDF gezeigt. Leserbrief eines 12-Jährigen: »Lieber Rüdiger, dein Film lief genau an meinem Geburtstag. Das Tollste war, als du der Ringelnatter den Frosch geklaut hast. Da rutschte meine Mutter ganz langsam vom Stuhl und wurde ohnmächtig. Das war mein schönstes Geburtstagsgeschenk. Danke! Dein David«!
Kontakt bedeutet oft auch Reflektion auf einen selber. Was können wir von bedrohten Völkern für unser Leben und unsere Gesellschaft lernen?
Von den Indianern, wie gesagt, die bescheidene und nicht auf Nonstop-Fortschritt gedrillte Lebensweise. Von vielen Volksstämmen das Zusammengehörigkeitsgefühl.
Wir sollten erkennen, dass die Artenvielfalt den wahren Reichtum der Erde ausmacht und sie im Gleichgewicht hält. Dem steht unsere Maßlosigkeit gegenüber, der Vernichtungsdrang, die Monokultivierung. Sie wird immer stärker sein als die Vernunft. Bis vielleicht, möglichst bald, Katastrophen uns zum Umdenken zwingen.
Haben sich die Möglichkeiten für Abenteuer und Engagement in den vergangenen Jahren verändert?
Durchaus. Ob durch überbordende Bildungsmöglichkeiten, idiotensichere Satellitennavigation, perfektionierte Ausrüstung oder die Chance, von überall jederzeit Hilfe herbei zu rufen. Die Möglichkeiten haben sich verändert, aber nicht verringert. Es bedarf nur des wachen Blickes, der Bereitschaft zu sozialem Engagement und der Freude am Risiko. Dann sind Abenteuer und Lebenserfüllung jederzeit für jedermann und jedefrau machbar. Niemand ist zu gering, etwas zu verändern. Wer das nicht glaubt, werfe eine Blick zurück in die Geschichte. Immer war eine Person die erste, die etwas in Gang gesetzt hat. Ob sie eine Religion begründet oder ein Haus gebaut hat. Entscheidend ist die richtige Strategie und nicht Reichtum, politische Position, hochherrschaftliche Abstammung.
Ihre Aktionen klingen oft sehr extrem und dramatisch. Wie viel Vorbereitung und Planung steckt dahinter?
Bei meiner ersten Atlantiküberquerung mit dem Tretboot, hat die Vorbereitung ein halbes Jahr gedauert. Alles neben meinem Beruf als selbständiger Konditor. Der Absprung vom Hubschrauber nackt in den brasilianischen Regenwald nur noch zwei Wochen Training bei Indianern.
Faustregeln: Analyse der zu erwartenden Schwierigkeiten. Einschätzung der eigenen Grenzen. Trainings zur Reduzierung der Probleme. Plan B und C. Dem Restrisiko eine faire Chance lassen – und dann ab!
Sie waren verschiedene Male in Lebensgefahr und einer Ihrer Freunde wurde am Blauen Nil vor Ihren Augen erschossen. Wie gehen Sie mit Angst um?
Ich habe sie kultiviert. Aber ich habe sie mir erhalten. Genau wie das Ekelgefühl. Sie sind wichtige Alarmsignale des Körpers, sie sind seine Freunde und Helfer.
Welche Abenteuer würden Sie sich vornehmen, wenn Sie heute 17 wären?
Immer würde ich klein anfangen und nicht gleich versuchen, gegen die Strömung über den Atlantik zu schwimmen. Ich würde z. B. mit einem Freund eine Nacht ohne gekaufte Ausrüstung im heimischen Wald übernachten. Mit selbst gemachtem Steinbeil würde ich mir einen Grabstock machen und damit eine tiefe Mulde scharren, sie mit Laub füllen und mich in das Laub einkuscheln. Als »Lebensversicherung« könnte sich der Anfänger einen molligen Schlafsack mitnehmen, den er möglichst nicht benutzt.
Das alles und tausend Dinge mehr stehen in meinem Buch »Überleben ums Verrecken«. Oder für 17-Jährige: »Survival-Abenteuer vor der Haustür«. Leben pur, Abenteuer satt.
Mitreden!