Seit ein paar Wochen nun stottert die neue Version von »Sommer« durch unsere Vorgärten. Mit ihm stotterte auch die neue Version von »niedliches Kind« den Wurfscheiben und Fußbällen durch eben diese »unsere« Vorgärten und Hecken. »Benni… entschul…darf…Ball« gehört jener neuen Mutation an, bei der an Frisur und Bewegung gerade noch vorn von hinten unterschieden werden kann. Frau Lühr findet »das Benni« niedlich. Beim Kuchen hingegen beweist sie ausgezeichneten Geschmack, als wir auf Ferienbeginn und damit auf pfadfinderfreie Zeit anstoßen. Tage später, gerade vor der Morgendämmerung, da scheint’s als hätten die Amis in unserer Straße eine Terrorzelle entdeckt. Es dröhnen Panzerkonvois und mehrere Hundertschaften vor der Häuserzeile. Als ich die Rolladen ein Stück weit hoch mache, sehe ich »SUVs« und »Minivans« der Pfadfindereltern in ungekannter Zahl. Dazu ein enormes Gewusel an Pfadfindern und noch mehr Rucksäcken. Offenbar gewähren Busunternehmen Rabatt, wenn die Schokolade schon vor fünf Uhr morgens ins Polster geschmiert wird. Aus dem Keller des Pfadihauses rumpelt es so lautstark, dass man befürchten muss, sie würden die Heizungsanlage mitnehmen. Der Rest des Hausinhaltes steht zumindest schon draußen. Die sonst so unbeholfenen Ballspieler scheinen zu einer größeren Hilfsaktion an den Dnepr aufzubrechen. Dem Material nach zu urteilen, sollen mehrere Brücken und Unterkünfte für hunderte von Menschen errichtet werden. Auch scheint es mir, als wären die Reisekosten so hoch, dass manche ihre großen Geschwister im Rucksack verstecken. Kaum zehn Tage später wird der Sommerfrieden schon wieder gestört. Ein Haufen winzig kleiner Heulsusen wird in einen Bus verladen. Verlegene Blicke der Rabeneltern schämen sich offenbar kollektiv für die vermeintlich grausame Kindesentsorgung. Vielleicht sollte ich rausgehen und sie aufmuntern. Dabei kann ich es absolut nachvollziehen. Als der Bus endlich weg ist, da sehe ich es ihnen gleich an – die Lawine an Ideen, die ohne Kinder mehr Spaß machen. Endlich Ruhe! Gerade als ich letzten Freitag Frau Roswitha Lühr den Rasen mähe, da kommen sie wieder! Erst die Panzerkolonne der 7-Sitzer der Ein-Kind- Familien. Anschließend zwei Reisebusse als Verkehrspfropfen auf unserer Straße. Blitzeblanke Bustüren öffnen sich, da wird es dunkel in der Straße. Die Kinder sehen aus, als fehlte nicht nur den Zelten der Boden, sondern dem Lagerplatz auch die Wiese. Wie Blindschleichen kurz vor Bodenfrost quellen die Bälger aus den zwei Sardinenbüchsen, dass ich mich eines Eindruckes kaum erwehren kann: wenn Frischluft müde macht, dann macht Lagerfeuerluft komatös. Ich höre die Rabeneltern begeistert sagen, ihre Kinder seien nicht wiederzuerkennen. Wollen die jetzt das Waschen auch zuhause abschaffen oder nachher gleich beim Kinderheim halten? Nun, es würde mich nicht wundern, wenn sie die Dreckspatzen vertauschen – in ihrer Uniform sehen die sowieso alle gleich aus.
Dem Nachbar seine Nachbarn
Ein Artikel aus dem haddak 2/2008 aus der Rubrik Manege. Du brauchst etwa 2 Minuten, um den Artikel zu lesen. Nimm dir die Zeit!
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