Dem Nachbar seine Nachbarn

Aaah, endlich sind wieder Herbstferien. Die Bäume stehen in ihrer schönsten Pracht, der Wind pfeift sein herrliches Liedchen durch ihre Wipfel und die ganzen grölenden Bälger verziehen sich in ihre Center Parks. Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder die Abende in Ruhe im eigenen Garten zu genießen. Mit meiner Frau ein Gläschen Apfelkorn zu zischen und eine Birkenstock-Latsche nach Bodo 4 zu werfen, damit er die Gräber von Bodo 1 bis 3 im Rosenbeet in Ruhe lässt.

Plötzlich fängt jemand leise an, rhythmisch »Zuuuugleich…! Zuuuuuuugleich…!« zu rufen. Eine Demo gegen etwaige kommunale Bauprojekte? Vielleicht sogar eine Horde dieser Wutbürger? Kommunisten? Ich stürze ans Fenster. Da kommt ein klappriger VW-Bus die Straße herunter geholpert. Dem Alter nach hat mit ihm nicht nur die ein oder andere Hippie-Kommune, sondern auch schon Hannibal die Alpen überquert. Vor das Gefährt sind sechs der Fieselschweifs gespannt, die sonst im Nachbargarten immer so einen Radau machen. Der Fähnleinführer sitzt am Steuer, hat sich bis zum Bauchnabel aus dem Fenster gelehnt und ruft seiner Bande muntere Motivationsbotschaften zu: »Zieh Micha, ist gleich da vorne!«, »Ihr müsst zugleich machen, sonst wird das nix!« Und der Klassiker aller Autoritärpädagogen: »Wer sich noch beschweren kann, hat noch Luft zum Laufen!«

Wie in einem Ben-Hur-Film steuert der Waldmeister seine Sponti-Schaukel auf den Hof der Bande und sengt als Kollateralschaden noch gleich die Mülltonne am Straßenrand an. Die Kevins, Marcels und Jannik-Jorges lassen die Abschleppseile fallen und sinken wie angeschossene Zootiere zu Boden. Krebsrot, klitschnass und japsend reagieren sie kaum, als der Oberpfadi aus dem Cockpit klettert, die Arme in die Seiten stemmt und das Gefährt stolz begutachtet. Mit der typischen Handbewegung eines jeden, der keine Ahnung von Autos hat, klopft er gegen die Motorhaube und erklärt im Brustton der Überzeugung: »Mit dem Teil sind die Pyrenäen kein Problem, sag ich euch.« Guckt. »Naja, das mit dem Keilriemen kriegen wir schon hin.« Langsam bekommen die Blagen wieder Farbe und kratzen sich langsam vom Boden ab. Einer rennt ins Hauptquartier und kommt mit einem Werkzeugkasten und einer Nylonstrumpfhose wieder und beginnt, am Motor rumzuwerkeln. Seine Kollegen schwärmen aus und türmen einen mannshohen Haufen Kram vor dem Pfadibunker auf. Es sieht aus, als hätten die Mongolen eine kleine Stadt gebrandschatzt. Ich sehe Angelruten, Schlafsäcke, Gaskocher, Töpfe und Pfannen, Beile, Planen, Stangen und Ketten, Musikinstrumente und Tennisschläger. Obendrauf balanciert ein knallrotes Kanu.

Auf Ansage ihres Vortänzers verfrachten sie so viel wie geht ins Auto, der Rest wird mit Seilen, Gaffa-Tape und Kabelbindern außen befestigt. Mit all dem Strandgut behangen sieht der Wagen aus, als hätte eine verfolgte Eliteeinheit aus dem Untergrund von Los Angeles ihn während einer Montage umgebaut, um aus einer Scheune oder ähnlichem auszubrechen. Wenn in den Pyrenäen die spanischen Bauern das Gefährt kommen sehen, werden sie ihr Silber verstecken und Schützengräben ausheben. Soviel steht fest.

Am Ende scheint alles so stabil wie ein Jenga-Turm. Die Kinder sind zufrieden. Eine Gitarre lässt sich aus dem Gewühl lösen, alle stellen sich im Kreis auf. Die Flagge wird entrollt und alle fassen sich an den Händen. Klampf, klampf, Stimmung ist ok. Nun noch den genau korrekten Winkel finden. Konzentriert rammt der Musiker den Gitarrenhals gen Himmel und mit einem konzentrierten Blick, wie ihn sonst nur professionelle Bombenentschärfer in Hollywood-Filmen haben, stimmt er an. Ein Lied über ferne Weiten, Steppen, Wüstenwind und Sehnsucht. Die letzten Worte verklingen, sie klettern in den Wagen und sind weg. Richtung Spanien. Ich wünsche fast, ich könnte mit.

Online ist dir nicht retro genug? Kein Problem, du findest den Artikel auch im haddak 2/2011 auf Seite 44.

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