Die Idee zu diesem Artikel kam mir, als ich in Montenegro 13 Pfadfinder mit Hipsterbeuteln auf dem Rücken die Straßen von Herceg-Novi herunterspazieren sah. Vorab möchte ich euch bitten, keine voreiligen Schlüsse vom Titel des Textes auf den Rest zu ziehen. Des Weiteren möchte ich betonen, dass ich mit diesem Artikel keine pfadfinderischen Werte angreifen möchte. Dieser Text soll nur zeigen, dass pfadfinderischer Pragmatismus auch Hipstermode rechtfertigen kann. Außerdem könnte er vielleicht andere Pfadfinder dazu ermutigen, dass sie zu Entscheidungen stehen, auch wenn diese Entscheidungen nicht immer zu 100% der Lehrbuchpfadfinderei entsprechen.
Montenegro! Da soll die Reise hingehen. Bei fast jedem Vortreffen wurden klimatische sowie geographische Merkmale von Montenegro im Sommer mit Nachdruck hervorgehoben. »Es wird mindesten 40°C heiß….« , »Es gibt kaum trinkbares Wasser….« und natürlich blieben auch die Berge nicht unerwähnt.
Und das wollen wir Haiken. So weit, so gut! Doch leider drängte sich da bei uns ein kleines Problem auf: Wir würden nicht in einer schönen kleinen Vierer- oder Fünfersippe haiken können. Bei uns sind es 13 Männer und 3 Frauen, die in einer XXL-Haik Sippe durch das Land streifen wollen. Die Drei Mädels sind natürlich von dem Vogelsanger Mädchenstamm Zugvögel, mit dem wir von Hellas einen Horst zusammen bilden. Fühlt euch an dieser Stelle bitte herzlich gegrüßt.
Das Problem dabei war, dass neben meinem Bruder, meinem Cousin, Jake und mir, die meisten sehr unerfahren sind, was das Haiken angeht. Diese Begebenheit ließ uns dann nach und nach an unserem Ziel von 40km pro Tag zweifeln. Damit wir nicht vor Ort ohne Plan-B dastehen, entschlossen wir uns, uns die Option eines Standlagers offen zu halten. Von diesem Lager aus könnte man dann Montenegro mit leichtem Gepäck und unseren Wertsachen in einem kleinen Tagesrucksack erkunden. Aus diesem Entschluss folgte dann die Anweisung, dass sich jeder Teilnehmer einen kleinen Rucksack einpacken sollte. Für mich war klar, dass ich diesen Rucksack dann auch auf der Anreise als Verpflegungsbeutel benutzen werde.
Da ich ein großer Junge bin und viel Verpflegung brauche, durfte der Rucksack natürlich nicht zu klein sein. Doch zu groß, oder besser gesagt zu sperrig, durfte er auch nicht sein, denn ich hatte keine Lust eine Woche lang einen zweiten Rucksack mit mir rumzuschleppen. Vermutlich hätte ich ihn mir dann vor den Bauch geschnallt und wäre nach 20 Minuten, mit einer Kerntemperatur von 120°C, gar gewesen. Nach langem Überlegen erschien es mir als das Sinnvollste, meinen alten Sportbeutel zu nehmen. Er war geräumig, man konnte ihn gut tragen und verstauen und da es nur ein alter Beutel war, konnte ich sogar ein Loch hinein schneiden, durch das ich mein Wasserschlauch stecken konnte.
Trotzdem zögerte ich. Irgendwie musste ich doch mit mir hadern. Ich dachte mir: »Jetzt werden wir vermutlich kaum haiken, unsere Zelte auf einem Zeltplatz aufbauen und dann laufe ich auch noch mit einem Hipsterbeutel herum…«. Da hallte mir das höhnische und abwertende »Plastikpfadfinder!« von all denen durch den Kopf, die dies als einen Bruch der traditionellen Werte der Pfadfinderei ansahen. »Irgendwie haben sie ja Recht. Oder etwa nicht?« dachte ich mir wieder. Die Pfadfinderei und der aktuell boomende Hipsterkult haben ja mal wirklich nicht viel gemeinsam. Außerdem ist es mir selber auch ziemlich wichtig, Traditionen nicht zu verschandeln. Denn seinen wir mal ehrlich: Kluft, Halstuch und Hipsterbeutel ist nicht so BP-like.
Doch irgendwie konnte ich mich auch nicht damit abfinden, dass die Angst vor einer potentiellen negativen Einstufung durch andere Pfadfinder, mich daran hindert diesen praktischen Haikzusatz daheim zu lassen. Also wurde der Hipsterbeutel mit Proviant befüllt und mit in den Bus genommen.
Wie sich dann im Laufe der Fahrt herausstellte, war ich nicht der einzige Hellene, der sich so einen Beutel mitgenommen hatte. Mit einem Schmunzeln gehe ich aber davon aus, dass sich keiner außer mir über die Symbolik des Beutels so den Kopf zerbrochen hat. Für die Meisten war die Entscheidung bestimmt ganz einfach und klar. »Dat is en Büggel. Der Büggel is jut. Dä kütt met!«
Dat is en Büggel. Der Büggel is jut. Dä kütt met!
Nach einer langen Fahrt mit dem Reisebus kamen wir endlich in Montenegro an und unser Haik konnte beginnen. Natürlich kam es, wie es kommen musste. Wir begannen unseren Haik in Sutomore und hatten gleich am zweiten Tag den ersten heftigen Hitzschlag. Vollkommen egal, wie wir es auch versuchten, wir kamen immer nur langsam und mit steigenden Qualen voran. Nachts schliefen wir in einem kleinen Waldstück. Leider war dieser Ort scheinbar ein Treffpunkt für zwielichtige Gestalten und streunende Hunde. Die Musik, die ab 1:00 Uhr einsetzte und uns bis morgens um 4:00 Uhr beschallte, war ein Mix aus Balkanklängen, Moderntalking und Schlagerpop. Leider keine gute Mischung, um zu schlafen. Dementsprechend lag die Begeisterung dem Land gegenüber auf einer Skala von eins bis scheiße irgendwo zwischen »Iiiihhh BÄÄÄHH!« und »So hab ich mir das nicht vorgestellt.«
Trotzdem war die generelle Stimmung gut und voller Optimismus. Also ging es weiter. Grade meinem Bruder Gollum (Lukas Bartholme) schien es sehr wichtig zu sein, dass wir das Land mit den Füßen erkunden und zu bezwingen versuchten. Ich konnte ihn da wirklich gut verstehen. Auch ich sah diesen Haik als eine Chance, den Jüngeren das Haiken näher zu bringen. Doch was wir auch auf unserem Weg nach Bar und dann weiter Richtung Norden versuchten, es wurde nicht besser!
Es machte einfach keinen Spaß mehr! Jeder Tag fühlte sich so an, als würde man im Lehm rudern. Man steckt all seine Kraft in die Paddel, doch kommt einfach nicht vom Fleck. Trotz allem war die Haik Sippe aber immer wieder voller Vertrauen und top motiviert, wenn wir ihnen sagten, dass es bald leichter werden wird. Keiner wollte aufgeben. Jeder von Ihnen hatte genau gewusst, worauf er sich eingelassen hat. Doch je weiter wir kamen, umso hässlicher und touristischer wurde die Landschaft. Auch wenn die Abende immer lustig waren, sobald die Rücksäcke abgelegt und die Kothen aufgebaut waren, merkte man, dass viele mit den Kräften am Ende waren.
Uns Leitern war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Und so kam es dann auch. Nachdem wir ein letztes Mal einen Haikversuch gestartet hatten, der auch wieder zermürbend war und uns kaum weiter gebracht hatte, entschlossen wir uns dazu, mit dem Bus bis nach Bijela zu fahren. Dort gab es einen Zeltplatz, auf dem wir problemlos die restlichen Tage verbringen konnten.
Für all diejenigen, die nicht wissen wo Bijela liegt, will ich hier kurz erwähnen, dass es eine Stadt ist, die in der Bucht von Kotor liegt. Für uns war diese Lage ideal. Denn nun konnten wir von dort aus die Bucht in Tagestouren erkunden. Rückblickend würde ich sagen, war dies das Beste, was wir machen konnten. Denn so konnten wir, mit unseren Hipsterbeuteln bewaffnet, Perast, Risan, Herceg-Novi und viele Berge der Umgebung in Ruhe besichtigen. Bei einer unserer Touren kamen wir auf einen Klettersteig, der uns bis auf die Spitze des Berges hinter Herceg-Novi brachte. Dort oben duftete die Luft nach allen wilden Kräutern, die dort wuchsen und die Aussicht offenbarte die wahre Schönheit Montenegros. Ich persönlich bin auch der Meinung, dass die Landschaft um die Bucht von Kotor, die ab und an von Beton Bauten zerschnitten und durch Häuser in venezianischem Stil abgerundet wird, das Herz von Montenegro ist.
Und nun schließt sich der Kreis. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir all dies nicht hätten erleben können, wenn wir unsere Hipsterbeutel nicht dabeigehabt hätten. Natürlich hätten es auch andere Taschen sein können. Doch irgendwie hat es das Schicksal so gewollt, dass 13 Hellenen in einheitlicher Kluft und mit Hipsterbeuteln durch die Innenstadt von Herceg-Novi spazierten. Voller Freude und mit einem leichten Gefühl auf den Schultern wurde die Stimmung immer besser und die Liebe zum Land immer größer.
Doch nun kam es wieder so, wie es kommen musste. Wir begegneten einer Bilderbuch-Haiksippe von den Wildkatzen. Auf ihren zarten Schultern türmten sich die Rucksäcke und auf ihren Gesichtern war eben der Ausdruck von Anstrengung und Zufriedenheit zu sehen, den man sich vom Haiken erhofft. Als ich sie dann so vom Weiten her kommen sah, dachte ich mir im Stillen: »Och man! Wie stehen wir denn jetzt wieder da? Während diese zierlichen Mädels sich hier durch die Straße quälen, sitzen wir hier mit unseren Beuteln und den Kugeln Eis im Magen an einer Bushaltestelle und warten auf den Bus, der uns zu unseren Zelten bringen wird.«.
Doch als sie dann näher kamen und wir den klassischen Smalltalk, den man in so einer Situation auszutauschen pflegt, spürte ich, dass von ihnen keinerlei Verachtung oder Geringschätzung kam. Ganz im Gegenteil. Irgendwie merkte man, dass sie sich freuten. Viele meiner Jungs begannen dann auch zu scherzen und strahlten scheinbar eine ansteckende Fröhlichkeit aus, die alle erfüllte. Es war wirklich schön. In den darauf folgenden Tagen überlegten wir Leiter, ob wir überhaupt nochmal haiken sollten oder nicht. Letztendlich kamen wir zu dem Entschluss, dass die Haik Sippe es selber entscheiden sollte. Wir stellten ihnen also die Frage, ob sie nach Risan Haiken oder mit dem Bus fahren wollten. Von Risan aus sollte dann der südliche Anhaik beginnen.
Die Antwort auf unsere Frage war eindeutig: »WIR WOLLEN HAIKEN!«
Und so war es dann auch. Und es war gut! Zwar führte unser Weg uns immer nur an einer Straße entlang, doch mit dem Ziel vor den Augen und einem fröhlich leichtem Lied auf den Lippen verging die Zeit wie im Flug. Als wir dann noch auf eine Sippe von Karthago-Persepolis trafen, wuchs unsere Freude umso mehr. Endlich mal bekannte Gesichter. Als wir dann am nächsten Tag in Risan ankamen, war die Stimmung durchweg fröhlich. Alle waren erschöpft und doch froh, dass sie es so weit geschafft hatten. Das Schönste daran war, dass eben diese gelassene Stimmung sich durch das ganze Bundeslager zog und es zu einem unbeschreiblich tollen Ereignis machte.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass der gesamte Haik mit der XXL-Sippe ein voller Erfolg war. Trotz Abstrichen gegenüber eines Musterhaiks haben wir doch den Grundgedanken vom Haiken perfekt umgesetzt. »Mach das Beste aus deiner Lage und hab Spaß!«. Und das könnt ihr mir glauben, Spaß hatten wir bei jeder Gelegenheit!
Spaß hatten wir bei jeder Gelegenheit!
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich mich durch diese Fahrt in meiner pfadfinderischen Einstellung ziemlich bestätigt fühle. Man sollte immer versuchen, Bewährtes zu wahren und dennoch immer Neues zuzulassen. Vor allem aber soll man zu dem was man tut stehen, denn nur so kann man auch dafür gemocht werden. Der symbolische Charakter des Hipsterbeutels hat mir hoffentlich dabei geholfen, euch diese Botschaft näher zu bringen.
Abschließend möchte ich mich noch bei allen bedanken, die dazu beigetragen haben, dass der Haik und das Bundeslager »Dobro Montenegro 2015« so ein tolles Erlebnis geworden sind. Ein besonderer Dank geht an meinen Stammesführer und Bruder Gollum, der unseren Haik geplant und gewissenhaft geführt hat. Danke dafür!
Mitreden!