Auf dem Meißnerlager hat ein schlauer Mann eine Rede gehalten. Er war alt und weise und seit vielen, vielen Jahren schon ein Pfadfinder. Ein Satz ist mir ganz besonders in Erinnerung geblieben: »Versteht das bündische Fahrtenleben nicht als Flucht vom Alltag, sondern nehmt immer auch etwas mit zurück.«
Was ist denn das echte Leben?
Man kennt das ja: Unterhalten sich zwei Pfadfinder auf dem Lager. Sagt der eine: »Im echten Leben bin ich Bierbrauer, Firmengründer oder Student.« Was ist denn das echte Leben? Ist das echte Leben jetzt das Fahrtenleben oder das andere? Das eine, in dem man Beruf, Schule, Familie und solche Dinge unter einen Hut bringt und dann das andere, in dem man echte Natur und schmetternde Singerunden erlebt. Eine weitere Frage, die gern von Außenstehenden gestellt wird, ist: »Hast Du eigentlich noch andere Hobbies?« Ist Pfadfinder nun ein Hobby oder eher eine Lebenseinstellung? Lebt man da eine Art »Second Life«? Bei dem gleichnamigen Spiel umgibt man sich mit einem Haufen Phantasiecharaktere, zahlt mit virtuellem Geld und durchschreitet am Computer erzeugte Welten. In diesem Fall scheint die Unterscheidung klar zu sein: Das Leben vor dem Bildschirm ist wohl das First Life und das im virtuellen Raum das Second Life. Kann man das in unserem Fall auch so klar unterscheiden oder anders gefragt: Muss man es überhaupt unterscheiden?
Was wir mit zurück in den Alltag nehmen, ist klar: Ein Gruppengefühl der Extraklasse mit einer würzigen Mischung aus »ich kann alles schaffen« und »bin auch mit dem Einfachen zufrieden«, abgerundet mit dem unendlichsten Verantwortungsbewusstsein. Und jeder könnte hier für sich noch beliebig Vieles hinzufügen. Die Liste würde endlos lang. Die Übertragbarkeit dieser Dinge in den Alltag macht es möglich, dass aus einem Hobby eine Lebenseinstellung wird, die es zu etwas ganz Besonderem macht. Es ist gar nicht nötig, sich in zwei Parallelwelten zu betrachten. Es vermischt sich ohnehin und das meistens sogar wahrscheinlich ohne, dass man es selber merkt. Aber warum sagt dann immer jeder: »Im echten Leben bin ich…?« Weil man nach einem Lager doch das Gefühl hat, dass man in die andere Welt zurückkehrt. »Game over!«, jetzt geht’s im Hier und Jetzt weiter. Und jetzt wird auch klar, was der alte, weise Pfadfinder gemeint hat: Pfadfinden dient schon auch der Flucht vom Alltag, dem Ärger in der Schule, mit den Eltern oder auf der Arbeit. Für manch einen ist es vielleicht sogar die Flucht vor einem ganzen System, in eine Art Subkultur, in dem die gleichen Gesetze gelten, aber andere Werte zählen als der Kontostand, der Hauptwohnsitz oder wie gut ich mich beim Essen benehme. Aber egal wie man es sieht, ich kann etwas mit zurück nehmen, was mich für das »echte Leben« stärker macht und ich kriege die Chance, einen Beitrag dazu zu leisten, dass sich auch andere ein Stück davon mitnehmen können.
Mitreden!