„Die Mitgliedschaft im DPBM können alle Kinder und Jugendlichen sowie Erwachsenen erwerben, die zur Mitarbeit im Sinne der Bundesurkunde des
DPBM bereit sind.“
Diese Formulierung aus unserer Bundesverfassung erweckt den Anschein, dass die Angebote unseres Bundes allen Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen zugänglich sind, die mit dem Selbstverständnis unseres Pfadfinder_innenbundes übereinstimmen beziehungsweise all diesen,die sich mit den Inhalten der Pfadfinderei, wie sie bei uns gelebt wird, auseinandersetzen möchten.
Doch entspricht diese Aussage tatsächlich der Wirklichkeit? Hängt die Möglichkeit der Teilnahme an den Angeboten unseres Bundes also vor allen
Dingen vom persönlichen Interesse und weniger von den individuellen Voraussetzungen ab? Mit diesen Fragen beschäftige ich mich nun schon seit längerem, denn könnte nun wirklich jede_r und das ganz unabhängig von ihren oder seinen individuellen Voraussetzungen gleichberechtigt an den Angeboten unseres Bundes teilnehmen, so entspräche dies einer inklusiven Gemeinschaft.
Der Begriff Inklusion wird in Deutschland momentan politisch sowie fachlich schwerpunktmäßig im Zusammenhang mit der Umsetzung des inklusiven Gestaltungsprinzips im Bildungswesen betrachtet. Im Kontext des Handlungsfeldes der Kinder- und Jugendarbeit – welchem sich auch der DPBM zuordnen lässt – wird die Umsetzung der Inklusion bisweilen weniger diskutiert. Dabei ist sie keine Aufgabe des Bildungswesens allein.
Den Ursprung hat die Debatte um Inklusion unter anderem in der Diskussion um integrative Praxis im deutschen Schulsystem. Integration meint das Einbeziehen von Menschen in eine vermeintlich einheitliche Mehrheitsgruppe. Somit geht Integration mit einer Anpassung der vermeintlich abweichenden Person an das, was von der Gesellschaft als normal angesehen wird, einher. Inklusion hingegen definiert keine Mehrheitsgruppen. Vielmehr fordert sie die Offenheit für alle und die „unmittelbare Zugehörigkeit“ (Theunissen 2011, 162) von allen ein. Inklusive Praxis meint somit mehr als die Steigerung der Teilhabemöglichkeit. Hinter ihr steckt ein gesellschaftliches Gesamtkonzept,
dessen Idealvorstellung die gleichberechtigte und gleicherfüllende Teilhabe aller darstellt. Entgegen der Vorstellung vieler betrachtet das Inklusionskonzept dabei nicht nur Menschen mit Behinderungen.
» Es handelt sich also um einen grundlegenden gesellschaftlichen Paradigmenwechsel, der mit Selbstreflexion beginnt und den Anspruch hat, zu einem gesamtgesellschaftlichen Umdenken beizutragen. «
Um der Verschiedenheit aller Mitglieder der Gesellschaft gerecht zu werden, überschreitet ein inklusives Konzept „die Unterscheidungen behindert/nichtbehindert, indem es weitere Differenzierungen mit einbezieht, wie Schicht/Milieu, Kultur/Ethnie, Gender, sexuelle Orientierungen, Religion und andere“ (Prengel 2010, 6). Ein zwar auf alleMenschen, besonders jedoch auf vulnerable (d.h. in einem System besonders verletzliche) Gruppen bezogenes Inklusionsverständnis entspricht dabei der Wahrnehmung von Ausgrenzungs- und Diskriminierungstendenzen gegenüber diesen Gruppen.
Bezogen auf Menschen mit Behinderungen ist die Inklusion auch rechtlich in der UN-Behindertenrechtskonvention (kurz UN-BRK) verankert. Die UNBRK wurde im Jahr 2006 durch die UNO-Generalversammlung von 128 Staaten und der EU beschlossen. Im Jahr 2009 trat sie auch in Deutschland in Kraft. In der UN-BRK werden die allgemeinen Menschenrechte unter der speziellen Perspektive von Menschen mit Behinderungen betrachtet. Mit der Konvention hat sich die Bundesrepublik Deutschland vertraglich verpflichtet, die mit der Konvention vereinbarten Veränderungen umzusetzen und künftig die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Somit wird Inklusion auch unter völkerrechtlicher Perspektive zum zentralen Gestaltungsprinzip erhoben und ist somit ein wesentlicher Weg zur Realisierung von Menschenrechten.
Voraussetzung für die gleichberechtigte Teilhabe ist, dass gesellschaftliche Ausgrenzungsprozesse, Barrieren und Sonderinstitutionen abgebaut werden. In der Praxis vieler Kinder- und Jugendverbände erschweren jedoch zahlreiche Zugangsbarrieren sowie ein verändert aufgefasstes Freizeitbedürfnis die gleichberechtigte Teilhabe an den Angeboten. Mein Eindruck ist, dass auch die Angebote unseres Bundes nicht allen Kindern und Jugendlichen zugänglich sind. Dabei finde ich, dass sich auch der DPBM im Hinblick auf die Inklusionsdebatte fragen muss, welche Kinder und Jugendlichen er tatsächlich einbindet/ erreicht und was mögliche Gründe des Ein- bzw. Ausschlusses sein können. Dieser Eindruck deckt sich auch mit den Ergebnissen der wenigen Studien, die sich mit dem Thema Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit beschäftigen. So ergaben die Studien, dass Kinder- und Jugendliche mit Behinderungen nur zum Teil in Angebote der Kinder- und Jugendarbeit eingebunden sind. Zum größten Teil erfolgte dies in Form von Einzelprojekten bzw. durch die Einbindung von Einzelpersonen. So gab es kaum Angebote, welche Inklusion tiefgreifend in ihrer Konzeption verankert haben.
Ein großer Teil der Verbände und Einrichtungen argumentierte dabei damit, dass ihre Angebote ja grundsätzlich allen offen stehen würden, die
Nachfrage jedoch nicht bestehe. Dieser Auffassung war ich selbst auch lange Zeit. So würde wohl kaum ein Stamm unseres Bundes seine Angebote
aktiv gegenüber einer bestimmten Personengruppe verschließen. Trotzdem wird auch in unserem Bund der Zugang zu den Angeboten insbesondere
für Kinder und Jugendliche aus Armutslagen, mit Migrationshintergund sowie für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen erschwert. Grund dafür sind zum einen direkt durch uns veränderbare Zugangsbarrieren, wie z.B. eine fehlende Barrierefreiheit oder ein Mangel an Informationsaustausch. Zum anderen liegt es an tiefgreifenden gesellschaftlichen Ausgrenzungsmechanismen, die sich auch im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit fortsetzen. Eine generelle Offenheit der Angebote kann somit erst in einer inklusiven Gesellschaft zu gleichberechtigten Teilhabemöglichkeiten führen.
Deutlich wird somit, dass wir als Pfadfinder_innenbund den Herausforderungen der Inklusion zwar mehr oder weniger standhalten können, sie aber keinesfalls beantworten oder gar lösen können. Doch auch, wenn sich der gesellschaftlich inklusive Nachholbedarf nicht allein durch uns lösen lässt, so erscheint es mir jedoch klar, dass eine Gemeinschaft, welche die Menschenrechte – und somit auch die UN-BRK – achten möchte,die Partizipationsmöglichkeiten ihrer Mitglieder nicht dem Zufall überlassen kann. Es besteht somit Handlungsbedarf. Auch wenn wir gesellschaftliche Strukturen der Ungleichbehandlung nicht ausheben können, so können wir doch in unserem Wirkungsraum Kindern und Jugendlichen zeigen, wie sie einander und somit auch ihren Mitmenschen außerhalb der Pfadfinderei mit Toleranz und Akzeptanz für menschliche Vielfalt begegnen können. Solch eine Entwicklung muss meiner Meinung nach unbedingt von innen heraus geschehen. Denn „der alles entscheidende Schritt zu einer inklusiven Kinder- und Jugendarbeit ist die Entwicklung einer inklusiven Haltung bei allen Beteiligten“ (Voigts 2013, 218).
Das Thema Inklusion und somit ein vorurteilsbewusstes Miteinander in Gruppen könnte zum Beispiel zum Bestandteil der Schulungen werden. Darüber hinaus sollten wir uns meiner Meinung nach auch in unserem Bund konzeptionell damit auseinandersetzen, wie es gelingen kann, Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Behinderungen trotz und gerade wegen ihrer häufig unterschiedlich geprägten Lebenswelt in die Angebote unseres Bundes einzubeziehen und auch ihnen Räume der Selbstorganisation, Mitbestimmung und des Engagements zu bieten.
» Mit unserem Handeln können wir so dazu beitragen, Inklusion zu einem alle gesellschaftlichen Felder übergreifenden Thema zu machen. «
Auf dem Weg zur Realisierung gleichberechtigter sozialer Teilhabe müssen wir Mut aufbringen, uns ausprobieren und neue Wege einschlagen. Sicherlich werden wir dabei auf offene Fragen und auch auf Grenzen stoßen. Persönliche Ängste und Vorbehalte müssen abgebaut und Ansichten neu überdacht werden.
Quellen:
Prengel, Annedore (2010): Inklusion in der Frühpädagogik. Bildungstheoretische, empirische und pädagogische Grundlagen. München: WiFF-Expertisen.
Voigts, Gunda (2013): Partizipation von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in der Kinder- und Jugendarbeit. Auf dem Weg zu einem inklusiven Gestaltungsprinzip. https://docplayer.org/21990966-Partizipation-von-kindern-und-und-jugendlichen-mitbehinderungen-in-der-kinder-und-jugendarbeit-zu.html
Theunissen, Georg (2011): Inklusion als gesellschaftliche Zugehörigkeit – Zum neuen Leitprinzip der Behindertenhilfe. In: Neue Praxis: Zeitschrift für Sozialarbeit,Sozialpädagogik und Sozialpolitik, 41. Jg. (Heft 2), S.156-169
Weitere Links:
Inklusions-Check für die Kinder- und Jugendarbeit: https://www.evangelische-jugend.de/fileadmin/user_upload/aej/Die_aej/Downloads/Publikationen/PDFAusgaben/aej_Handreichung_Auftrag_Inklusion_Inklusions-Check.pdf
Orientierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention: https://www.sgbviii.de/files/SGB%20VIII/PDF/S62.pdf
Inklusion in der Jugendarbeit: https://www.agj.de/fileadmin/files/positionen/2019/Inklusion_Jugendarbeit.pdf
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