Marie hat Anfang letzten Jahres für euch unser Soziales Projekt des Bundes, das Waisenhaus der René-Pedrozo-Hilfe, besucht und teilt seitdem ihre Erlebnisse mit euch im haddak. Sie hat mit den Kindern im Waisenhaus gelebt, sowie verschiedene Patenfamilien besucht. In der letzten Ausgabe habt ihr von Gina, dem Patenkind ihres Stammes, erfahren und von dem nachhaltigen »Kleinprojekt Schwein«.
Tag 6
Der Tag beginnt am frühen Morgen mit einem Jogging-Spaziergang gemeinsam mit drei Mädchen aus dem Waisenhaus; vorbei an Reis- und Mangofeldern. Ich genieße ihn sehr, bis der Verkehr wieder anrollt und die Luft durch die Abgase und das verbrannte Plastik unerträglich wird. Der Smog brennt in meinem Hals.
Mir wird klar: Sechs Wochen hier ist eine viel zu kurze Zeit. Es dauert seine Zeit sich einzugewöhnen und die Strukturen einigermaßen zu durchblicken.
Wir besuchen ein anderes Waisenhaus in der Nähe. Es ist staatlich und für Jungen. Naldy, der Chef der Organisation vor Ort und seine Frau Jenny sind dabei. Sie sind toll! Ich bekomme ein philippinisches Getränk angeboten, das schmeckt, wie Dixiklos riechen. Beim Abendessen fühle ich mich wieder sehr entmündigt, da alle für mich und über mich in Tagalog (eine philippinische Sprache) sprechen, aber nicht mit mir. Komisches Gefühl, obwohl ich weiß, dass es wohlwollende Worte sind.
Tag 7
Ich bin krank! Das Klima, all die unbekannten Viren und Bakterien haben mein Immunsystem überwältigt. Am Nachmittag besuchen wir dennoch Jennifers Familie in einem armen Dorf. Es liegt gar nicht so weit weg vom Waisenhaus entfernt, doch wir fahren etwa eine Dreiviertelstunde mit dem Auto, denn die Straßen sind so schlecht. Es ist auffällig, wie viele kleine Kinder im Dorf leben und um uns herumdrängen – barfuß, mager, mit verfaulten Zähnen. Jennifer alleine hat acht Brüder und fünf Schwestern. Ich frage mich, wie man so viele Kinder in die Welt setzen kann, wenn man sie nicht ernähren kann? Fehlende Verhütungsmittel? Fehlende Aufklärung? Wahrscheinlich eine Mischung. Der katholische Glaube der Philippinos spielt sicher auch eine Rolle.
Keiner schaut nach den Kindern. Wo sind die Erwachsenen? Arbeiten. Geld verdienen. Die kleinen Häuschen im Dorf sind teilweise aus Stein, teilweise improvisiert aus allerlei Schrott. Kinder pumpen Wasser am Brunnen. Hat irgendwie auch was Romantisches, wenn man sich wegdenkt, dass die Kinder hungern und im Dreck auf dem Boden schlafen. Am Rande des Dorfes entdecke ich ein großes Müllverbrennungsfeld. Superwiderlich.
Kleine Jungs kommen aufgeregt angerannt und zeigen mir Spinnen, die sie in Streichholzschachteln gefangen halten. Ich werde Zeuge eines Wettkampfs. Sie lassen die Spinnen auf Stöcken gegeneinander kämpfen. Das ist wohl die Vorstufe zum Hahnenkampf. Anfeuern können sie schon wie die Großen.
Naldy schenkt den Kindern ein paar Pesos und sie rennen zum Kiosk, um sich ein Spiel zu kaufen: »Plastikballon«. Aus einer widerlichen Chemiemasse, die nach giftigem Kleber riecht und schmeckt, blasen die Kinder mit einem kleinen Plastikröhrchen einen Luftballon. Vorher müssen sie die Masse aber ablutschen. Ich probiere. Schmeckt krebserregend. Dasselbe kam mir in den Sinn, als wir letztens den Zaun im Waisenhaus neu strichen.
Wieder zurück im Waisenhaus kann ich Naldy davon überzeugen, dass es nicht gut ist, die Chemiekeulen von Spül- und Waschwasser einfach in den Entenstall abzuleiten. Müll sollte auch besser nicht im Stall liegen. Er hat mir versprochen, sich eine Lösung einfallen zu lassen.
Tag 8
Große Vorfreude auf diesen Tag, denn es steht ein gemeinsamer Ausflug zu einem Fluss an. Ich habe leider meine Stimme verloren. Kein Ton kommt an diesem Tag aus meiner Kehle.
Die Mädchen sind glücklich am plantschen. Wir spielen und lachen viel und genießen »Ube«, eine lila Kartoffel, die am Vortag zerstampft wurde und mit Kondensmilch und jede Menge Zucker stundenlang über dem Feuer gerührt wurde. Sehr lecker!
Bei jeder Umarmung vonseiten der Kinder denke ich daran, dass gerade eine Laus zu mir überlaufen könnte. Ich nehme es in Kauf, denn ich habe zumindest die Aussicht, im Gegensatz zu den Mädchen, die sich mit dreizehn Leuten ein Matrazenlager teilen, die Viecher bald wieder loszuwerden.
Erneut werde ich Augenzeuge romantischer Szenarien: Eine alte, wackelige, löchrige Hängebrücke neben Strohhäuschen; ein Mann im Strohhut trägt an einem Stock über dem Rücken zwei Wassereimer; Frauen, die ihre Wäsche mit der Hand im Fluss waschen, umgeben von gackernden Hühnern.
Mit Zettel und Stift und Händen und Füßen versuche ich Naldy die Spiele zu erklären, die ich für die Mädchen vorbereitet habe und mir dämmert, dass man mich nicht in den Dschungel gehen lassen möchte. Zu groß ist die Angst vor Rebellen, die mich entführen könnten, und giftigen Schlangen. Und wieder fühle ich mich wie eine eingesperrte Prinzessin und nehme mir fest vor, am darauffolgenden Morgen den Dschungel nahe des Waisenhauses zu erkunden.
Die Kinder dürfen nicht von den Felsen springen. Schade, denke ich! Aber nachvollziehbar, da es kein Krankenhaus in der Nähe und auch keinen zuverlässigen Krankentransport gibt.
Tag 9
Wir schlagen uns mit einem Stock einen Weg durch den Dschungel, während wir von Moskitos zerfressen werden. Kurz vorher mussten wir einen riesigen Matschhügel erklimmen. Nein das ist wirklich nicht mit deutschen, bewirtschafteten Wäldern zu vergleichen. Mama Tes, die den Ausflug anführt, hat ihr Wellblechhaus neben einem der Urlaubsresorts stehen. Arm neben reich. Kaum zu glauben, dass die andere Seite der Mauer mit schönen Strandbildern bemalt ist und in luxuriösen Pools geplantscht wird. Das Resort ist eigentlich geschlossen. Aber für die Deutsche öffnet man die Türen. Schon der dritte Mann, den ich treffe, dessen erste Frage es ist, ob ich verheiratet bin. »Ja«, sage ich und werde in Ruhe gelassen. Am Nachmittag befreien wir gemeinsam den Entenstall von Müll.
Tag 10
Einen Teil des Tages habe ich bei Randy verbracht. Er ist der Arzt, der samstags im Krankenzimmer des Waisenhauses arbeitet und den Menschen um das Waisenhaus herum medizinische Versorgung ermöglicht.
Interessant zu sehen, wie die wohlhabenden Menschen leben. Der Doc lebt zusammen mit seinen Eltern, seiner Frau, seinen Kindern und seiner krebskranken Cousine. So ist das hier. Man lebt zusammen mit den Eltern und sorgt sich, bis sie sterben. Die Menschen hier können sich nicht vorstellen, dass es in Deutschland sowas wie Altenheime gibt.
Um etwas unabhängiger zu sein, leihe ich mir ein Fahrrad. Die Mädchen haben glänzende, strahlende Augen als sie mich das Rad in die Einfahrt des Waisenhauses schieben sehen. »Darf ich mal fahren?«, fragen sie aufgeregt. Kaum eines der Mädchen hat schon mal auf einem Fahrrad gesessen. Ich schiebe jedes eine Runde durch den Hof und fasse nicht, wie dankbar sie dafür sind. Mit einem Fahrrad habe ich 20 Kinder glücklich gemacht! Ich denke an verwöhnte Kinder in Deutschland, die ihre Räder achtlos in die Ecke schmeißen. Im Anschluss an das Fahrradabenteuer werden wieder allerhand Klatschspiele ausgepackt. Ich beobachte die Mädchen und bin richtig glücklich. Auf der Wiese vor dem Waisenhaus wächst die Valentinspflanze. Sie sieht aus wie Physalis. Die Samen sind schwarz und tragen ein weißes Herz. Ich ernte eine Menge davon für meine Lieben in Deutschland.
Wandern für ein besseres Leben
Jungpfadfindertrupp Guy de Larigaudie erwandert durch eine tolle, selbst ausgedachte Spendenaktion auf ihrer Sommerfahrt 700 Euro für ihr Patenkind Gina auf den Philippinen. So oder ähnlich könnte auch eine Aktion mit deiner Gruppe aussehen.
Um einen kleinen Spendenbeitrag pro Kilometer auf ihrer Sommerfahrt baten die Jungpfadfinder des Stammes St. Willigis Verwandte und Bekannte. Mit dieser besonderen, selbst ausgedachten Aktion erwanderten sie mithilfe von großzügigen Eltern, Omas und Opas, Nachbarn, Cousins und Freunden 700 Euro für ihr Patenkind Gina auf den Philippinen. Eine tolle Idee! »Gina mit nur ein wenig Geld das Leben zu erleichtern, hat uns immer wieder aufs Neue motiviert weiterzulaufen, wenn wir mit den Kräften am Ende waren.« (Emilia, 14).
74 km von Heidelberg mit Umwegen auf einen Lagerplatz nach Moosbach hat der Trupp gemeinsam zurückgelegt und so die Finanzierung von einem Schwein und Patenschaftsbeitrag sichergestellt.
Mitreden!