Ein Deutscher aus der Provinz schreibt über die polnische Mentalität? Klingt komisch, ist aber so. Steffen Möller hat weder schlesische Vorfahren noch einen Onkel im Bund der Vertriebenen, sondern kam »einfach nur aus Wuppertal«, trotzdem machte er sich 1993 als Student aus Spaß für einen zweiwöchigen Sprachkurs nach Polen, genauer gesagt, nach Krakau auf. Er war überrascht: »Dort war es toll, ganz anders als ich erwartet hatte.« Und so beschloss er, nach Polen auszuwandern.
Als Legitimation kann ich höchstens anführen, dass ich ein großer Polen-Fan bin, mehrere Polnisch-Sprachkurse besucht habe und sogar den schwierigsten polnischen Zungenbrecher fehlerfrei herunterbeten kann.
Seit 1994 arbeitet er zuerst als Deutschlehrer, später dann als Schauspieler und Kabarettist in Polen. Inzwischen ist er dort landesweit bekannt. In seinem Buch »Viva Polonia« stellt Möller die polnische Mentalität vor. Oder wie er selbst schreibt: »Ich stelle Behauptungen über Polen und die Polen auf, deren Grundlage sehr subjektive Beobachtungen sind, aus denen ich höchst allgemeingültig klingende Schlüsse ziehe. Darf man das? Keine Ahnung, aber es ist mein Hobby. Als Legitimation kann ich höchstens anführen, dass ich ein großer Polen-Fan bin, mehrere Polnisch-Sprachkurse besucht habe und sogar den schwierigsten polnischen Zungenbrecher fehlerfrei herunterbeten kann.«
Von A wie Anarchie, über G wie Gastfreundschaft bis hin zu V wie Verkleinerungen (von Namen), berichtet er in seinem Buch nach Stichworten sortiert über die – aus seiner Sicht – polnische Seele. Stets verknüpft mit seinem nach langen Jahren in Polen angewachsenen Erfahrungsschatz. So schreibt er über den Fatalismus der Polen: »Löcher in den Straßen, korrupte Politiker, geringe Löhne und das alles seit Hunderten von Jahren – kein Wunder, dass jedes polnische Kind in einer Atmosphäre des Fatalismus aufwächst. Ein Pole ohne fatalistische Einstellung würde wohl kaum in einigermaßen psychischer Gesundheit sein siebentes Lebensjahr überstehen. Um die Ursache dieser Eigenschaft beneide ich die Polen nicht, den Fatalismus an sich bewundere ich. Ein Fatalist ist ein Mensch mit großem Sinn für Humor. Er ist auch viel fl exibler als ein Idealist, weil er in keinerlei Ideologie verliebt ist.«
Möller zeichnet ein vielleicht überspitztes, aber kein einseitiges Bild der polnischen Mentalität. Platte »Volkskunde« und trotzdem – oder gerade deswegen – die Widersprüchlichkeiten herausstellen. Das umso mehr, als er stets aus der Perspektive eines »deutschen schon weit akzeptiert und integriert ist, aber letztendlich kein Pole werden wird. Oft stellt Möller seinen Ausführungen auch die deutsche Mentalität gegenüber, so dass man ab und an nicht weiß, ob er nun über Polen berichtet oder vielmehr den Deutschen den Spiegel vorhält. Vielleicht ist es aber auch gerade das, was das Buch so unterhaltsam macht.
So wird man in »Viva Polonia« nur ganz wenige touristische Hinweise finden, dafür aber umso mehr Tipps, wie man sich als Deutscher am besten auf dieses Land und seine Bewohner einlässt – und was man lieber unterlässt. Denn eines will Möller »schonungslos und bar jeder Propaganda« sagen: »Polen ist ein super Land. Fahren Sie hin.«
Steffen Möller: Viva Polonia. Als deutscher Gastarbeiter in Polen.
Fischer Taschenbuch Verlag. 9,95 €. ISBN 978-3-596-18045-5.
Auch als Hörbuch im Argon Verlag erhältlich.
19,95 €. ISBN: 978-3-86610-558-4.
Mitreden!