»Wir lebten wie die Könige. Den Wodka soffen wir gläserweis. Herrliche Mädchen liebten uns. Wir schritten über goldenen Boden. Wir zahlten mit Gold, zahlten mit Silber, zahlten mit Dollars. Wir zahlten für alles, für den Wodka und für die Musik. Liebe vergalten wir mit Liebe und Hass mit Hass. Ich hing an meinen Kameraden, denn sie enttäuschten mich nie. Sie waren raue, ungehobelte Männer; aber mehr als einmal erwiesen sie sich als so grossmütig, dass sie mir rätselhaft wurden. In solchen Augenblicken dankte ich der Schöpfung, ein Mensch zu sein.«
Das Grenzgebiet zwischen Polen und der Sowjetunion in den 1920er Jahren. Der Erste Weltkrieg ist vorbei, der Zweite noch nicht in Sicht. Es ist eine Zeit ohne Geld, aber mit vielen Wünschen. Eine Zeit, in der Güter wie Socken oder bedruckte Tücher Luxus darstellen. Und eine Zeit, in der Schmuggler Hochsaison haben, mit allem, was beweglich ist.
Sergiusz Piasecki schrieb diesen Roman während seiner Zeit im Zuchthaus nach einem Bahnüberfall im Jahr 1930. Es ist eine Geschichte über sein eigenes Leben als Schmuggler, nachdem er sich als Freiwilliger beim Angriff Polens auf die UdSSR beteiligt hatte. Während dem 2. Weltkriegs tauchte Piasecki unter und war Partisan. Nach dieser Zeit zog er nach England und schrieb weitere Romane, die im Kern alle das gleiche Thema aufgreifen: Die Zeit nach dem 1. Weltkrieg, wie sie in diesem, seinem ersten Roman verarbeitet wurde.
Hauptprotagonist Wladek, ein junger Pole, weiß nach dem Krieg und dem Angriff auf die UdSSR durch Polen mit seinem Leben nichts anzufangen und lernt durch Zufall Josef Trofida, den Maschinisten, also Anführer, einer Schmugglergruppe kennen, die zwischen Polen und Russland arbeitet. Wladek ist neu im Schmugglerleben. Anfangs versucht er in der Gruppe unterzutauchen, muss sich erst zurechtfinden. Hinzu kommt, dass er körperlich sehr schwach ist und oft mit den anderen nicht mithalten kann. Er findet sehr schnell Anschluss in der Gruppe, freundet sich mit Ratte und auch mit Komet an, findet in ihnen Verbündete und Kameraden für lange Zeit. Mit jeder Tour wachsen seine Kräfte, bald hat er kein Problem damit, Waren bis zu 50 kg mehrere Stunden durch die Nacht zu tragen. Denn das ist ihre Hauptarbeitszeit. Während andere schlafen, schaffen Wladek und seine Freunde die verschiedensten Dinge über die russisch-polnische Grenze.
Von den ersten Grenzgängen über die erste Liebe bis hin zum Gefängnis und einer spektakulären Flucht während eines Gefangenentransports.
Während seiner Zeit als Schmuggler erlebt Wladek viele Abenteuer: Von den ersten Grenzgängen über die erste Liebe bis hin zum Gefängnis und einer spektakulären Flucht während eines Gefangenentransports. Und er lernt eine Art Gemeinschaft kennen, die es sonst wohl nirgendwo gibt. Doch er lernt auch den Verlust kennen. Er verliert Freunde und Feinde, aber auch seine Ehre und sein Ansehen. Er muss miterleben, wie die Liebe seines Lebens seinen ärgsten Feind heiratet und einer seiner besten Freunde in seinen Armen stirbt, nachdem sie nur knapp den Grenzsoldaten entkommen sind. Ob die Grenze am Ende auch ihn als Opfer fordert? In seiner ganzen Zeit als Schmuggler, in allen Höhen und Tiefen, die Wladek in dieser Zeit erlebt, verliert er das Sternenbild der Großen Bärin nie aus den Augen. Sein Freund Josef Trofida rät ihm, bei allen Touren, die er macht, immer auf die Große Bärin zu vertrauen. Denn sie bringt ihn wieder nach Hause. Und Wladek gibt den einzelnen Sternen Namen, spricht häufig zu ihnen und lässt sich von ihnen leiten. Er findet immer wieder seinen Weg zurück zu ihnen.
»Der Geliebte der Großen Bärin« ist ein Buch voller Abenteuer, Freundschaften und Überraschungen. Ein Buch, welches das Leben an der Grenze wiedergibt, wie es die Menschen in Wilna und den umliegenden Ortschaften tatsächlich erlebt haben. Frauen, die nächtelang allein daheim saßen und auf ihre Männer warteten, die im Grenzgebiet unterwegs waren. Männer, die, wenn sie daheim waren, lange Abende in der Dorfkneipe verbrachten und von den nächsten Abenteuern träumten.
Eine Geschichte, die lange Hajknächte in Polen, aber auch in anderen Fahrtenländern nie enden lassen möchte. Jedes Mal, wenn man meint, Wladek wäre am Ende seiner persönlichen Abenteuer angelangt, passiert etwas Unvorhergesehenes, das ihn wieder an die Grenze zurück bringt.
»Goldener Herbst und Goldene Zeit, die Grenze lebte in vollen Zügen. Unaufhörlich kamen und gingen die Schmuggler. Kaum noch einer der alten Glückssucher war unter ihnen. Nur die Aufständischen, die arbeiteten. Sie intrigierten, klatschten, verpfiffen sich gegenseitig auf beiden Seiten der Grenze und drückten die Preise für die Arbeit. Ratte war zwei Tage im Städtchen. Er brachte genau heraus, welche Gruppen loszogen und wo ihre Verstecke waren. Er kannte ihre Wege durch das Grenzgebiet. Er hatte eine Menge guter und nützlicher Tipps. Es gab kaum noch alte Schmuggler im Städtchen. Dafür wimmelte es von Küken, die planlos vorgingen und die von den alten Berufsschmugglern verachtet wurden. Leer und langweilig schien die Grenze geworden zu sein. Mir fielen die alten Gefährten ein, ich hatte Sehnsucht nach ihnen … Josef Trofida hatte es aufgesteckt. Sascha Weblin war tot, Harz hatte sich das Leben genommen. (…) Die Wilden arbeiteten weiter, mit immer neuen Gesichtern, wie stets. Ein paar sind in Polen hochgegangen, andere in der Sowjetunion, andere wurden getötet oder angeschossen; aber der Rest arbeitete nur noch lauter und verwegener unter seinem jetzigen Maschinisten, dem berühmten Tollen Boleslaw Komet. Wir stellten den Wilden nie eine Falle, so leicht gerade das gewesen wäre. Das war der einzige Haufen, der uns passte und der noch etwas vom alten Geist zeigte.«
Sergiusz Piasecki: Der Geliebte der Großen Bärin. Aus dem Polnischen von Günter Walzel. In verschiedenen Ausgaben gebraucht auf www.amazon.de oder www.zvab.de erhältlich.
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