Während alle anderen Sippen unseres Stammes an den verschiedensten Orten Europas auf Fahrt sind, gehen Luca und ich zu zweit auf Fahrt. Für uns bis jetzt das erste Mal und irgendwie ein wenig ungewohnt, abends zu zweit am Lagerfeuer eine „Singerunde“ zu machen. Doch schnell gewöhnen wir uns daran und erleben so einiges im wunderschönen Norden von Spanien.
Über Paris fahren wir, wo wir am Abend noch ein wenig herumlaufen, um dann zwei Stunden später wieder in den Bus zu steigen. Wir fahren durch die Nacht, es ist unbequem, ich kann nicht schlafen.
Morgens geht die Sonne in den Pyrenäen auf, jetzt ist es nicht mehr weit. Die nordspanische Küste – ruhig liegt sie da, in der schattenwerfenden Morgensonne.
Als wir in Torrelavega ankommen, wirkt es wie ausgestorben. Wie sollen wir hier heute noch wegkommen? Es ist Sonntag, leicht wird das nicht. Dennoch fahren wir am Nachmittag mit dem Bus bis nach Potes, ein kleines, aber erstaunlich touristisches Dorf in den Picos de Europa. Der Bus ist nicht voll, ich schlafe eine halbe Stunde tief und fest. Als ich aufwache, sind wir mitten im Gebirge, rechts und links steigen die Felswände in den Himmel, neben uns läuft ein Fluss. Wir kommen in Potes an, laufen den Berg hinauf und finden eine Stelle zum Schlafen.
Am nächsten Morgen wachen wir mit dem Sonnenaufgang auf, wir packen zusammen und laufen wieder hinunter ins Dorf. Nachdem wir eingekauft haben, stellen wir uns an die Straße und versuchen unser Glück beim Trampen – erfolglos – wir brechen zu Fuß auf.
Ein paar Kilometer weiter nehmen uns ein Franzose und seine kleine Tochter in ihrem selbst zum Camper-Van ausgebauten Bus mit. Wir fahren hinten auf der Bank am Küchentisch mit. Als wir aussteigen wollen, klopfen wir an die Scheibe vor uns. Die Musik ist zu laut, wir fahren also weiter. Als das Auto hält, finden wir uns vor einer riesigen Gebirgswand wieder – wunderschön! Doch guckt man um sich, lauter Touristen mit ihren Autos. Wie
kommen wir hier am schnellsten weg?
Es gibt eine Seilbahn bis hoch auf den Berg – total überlaufen – man müsste drei Stunden anstehen, der Plan löst sich in Luft auf. Laufen wir drumherum? Der Felswand entgegenschauend wohl die einzige Möglichkeit. Wir halten daran fest und legen uns noch ein wenig in den Schatten, zum Schutz vor der Mittagssonne. Nach einem weiteren Blick auf die Karten, unbefriedigt, nicht hoch ins „richtige“ Gebirge zu kommen, sehen wir einen Weg. Mit unserem Gepäck sieht dieser unmöglich machbar aus: Ein kleiner steiler Pfad, bis hoch zu einer Schlucht. Diese ist nicht länger als 200 Meter und bewältigt eine Höhendifferenz von circa 300 Metern.
„Das können wir nicht machen, zweifelhaft, dass dort überhaupt ein Wanderweg langführt. Aber bei den ganzen Touristen hier, das muss für uns doch irgendwie machbar sein.“
Eine Aussage bringt uns dazu, unsere Sachen in Windeseile zusammenzupacken, uns noch schnell einzucremen, und los geht es: „Warum nicht einfach mal versuchen?“ So laufen wir los.
Die ersten hundert Höhenmeter sind zwar anstrengend, aber noch teilweise im Schatten der letzten Büsche vor der Baumgrenze. Eine letzte Pause, ab jetzt heißt es einfach hoch und hoffen, dass sich die Wolken möglichst oft vor die brennende Sonne schieben. Der Weg gestaltet sich als anstrengender, als es von unten zu erwarten war. Plötzlich hören wir es plätschern – eine Quelle.
Mit vollen Flaschen und Wassersäcken geht es weiter, die Autos und Menschen werden immer kleiner, der Ausblick ist unbeschreiblich. 200 Höhenmeter später fällt uns ein: „Wir hatten noch gar kein Mittagessen, oder?“ Kurzerhand ist auch das erledigt, frisch gestärkt geht es weiter. Weit ist es nicht mehr bis zu der Stelle, die auf der Karte unschaffbar aussah. Die letzten Meter bis zum Eingang in die Schlucht krabbeln wir schon auf allen Vieren gegen die Felswand gepresst hinauf. Die Gitarre, die wir auch noch mit uns tragen, ist dabei nicht sonderlich hilfreich.
»Nun der Moment der Wahrheit: Sieht die Schlucht mit unseren vollbepackten Rucksäcken machbar aus oder müssen wir eventuell sogar umdrehen?«
Steigeisen oder dergleichen sind nicht zu sehen, dafür ein Kletterseil, das von einer nicht auszumachenden Stelle zu uns herunterhängt. Ich ergreife das Seil, ziehe mich die ersten sechs Meter hinauf. Ein Vorsprung, ein weiteres Seil, hoch. Die Schlucht oder die Steine vor mir sind alles andere als ein Wanderweg. Ein Kletterseil haben wir nicht dabei, aber wir packen unsere zwei Tampen aus und knoten sie aneinander, immerhin vier Meter Seil. Wir entscheiden uns, ganz langsam Stück für Stück dort hoch zu „wandern“. Wir ziehen die Rucksäcke hoch, dann können wir wieder ein kleines Stück mit ihnen auf dem Rücken klettern.
Pause. Weiter. Pause. Ein falscher Tritt, ich weiß nicht, wo ich zum Stehen komme. 200 Meter Luftlinie, 300 Meter Höhe, wir sind den verbleibenden Nachmittag beschäftigt.
Kurze Zeit später liegen wir auf dem von weicher Wiese bedeckten Kamm. Wir haben es geschafft!
Hinter uns taucht eine Bergziege auf. Ganz unschuldig grast sie dort und beachtet uns nicht. Wir gehen auf sie zu, denn wir müssen an ihr vorbei, um gleich hinter ihr in einen Bergsee springen zu können. Die Ziege guckt aber nur kurz auf und grast desinteressiert weiter. Wir laufen über die Kuppe, einen wirklichen Weg erkennen wir noch immer nicht, aber jetzt sind wir richtig im Hochgebirge. Wir sind auf ungefähr 2.000 Meter hochgestiegen, aber die Gipfel in der Ferne, welche von unten noch nicht zu erkennen waren, sind um die 3.000 Meter hoch.
Die erhofften Bergseen sind leider ausgetrocknet. Damit können wir auch erstmal kein Wasser nachfüllen, heute Abend sollte es eigentlich die wohlverdienten Nudeln geben. Auf der Karte finden wir ein Refugio. Laut Legende: eine kostenlose Hütte. In der Hoffnung, dass die Quelle auf dem Weg dorthin nicht auch ausgetrocknet ist, machen wir uns auf den Weg.
Die Wolken kommen immer tiefer, dazu wird es langsam Abend, schnell sieht man nicht mehr weiter als 20 Meter. Nur die zahlreichen Vögel, die Glocken der Kühe und unsere eigenen Schritte sind noch zu hören.
Auf einmal taucht vor uns aus dem Nebel ein Bulle auf, die Situation ist ein wenig gespenstisch. Wir laufen weiter bergab und finden die Quelle, sie ist nicht ausgetrocknet. Trotz des entgleitenden Tages entscheiden wir uns, nicht nur unsere Wasservorräte aufzufüllen, sondern uns auch noch zu waschen. Es ist eiskalt, die Füße werden zu Eisklötzen und wenn wir die Köpfe benetzen, können wir nicht mehr denken, geschweige denn irgendetwas anderes machen.
Frisch gewaschen geht es weiter bergab zum Refugio. Wir sind sehr überrascht, als wir dort ankommen. Eine Hütte ist nicht zu sehen, dafür zwei Häuser. Drinnen leuchtet das Licht nach draußen in die Nacht hinaus. Luca geht hinein und fragt nach. Es stellt sich heraus, dass das hier wohl kein wie auf der Karte eingezeichnetes Refugio ist, sondern ein Hotel. Oben auf dem Berg? Absurd.
Damit ist die Hoffnung, heute Nacht noch einen Unterschlupf mit Dach zu finden, hinüber. Wir sind immer noch weit über der Baumgrenze und haben nur eine Gitarre, um uns mit unseren zwei Kohtenplanen etwas zu bauen.
Doch dazu kommt es nicht. 300 Meter entfernt vom Hotel finden wir eine kleine Hütte. Die Tür lässt sich öffnen, über ihr ist eine Jahreszahl eingeritzt: 1963. Wir treten ein, kochen unsere Nudeln und gehen erschöpft, aber glücklich schlafen.
Als ich früh morgens einmal raus muss, sehe ich über den Gipfeln einen wundervollen Sonnenaufgang. Ich lege mich wieder hin. Wenig später werden wir von einem Feuersalamander geweckt, der über unsere Köpfe krabbelt.
Wir stehen auf und sind bald wieder mit dem Abstieg in ein langes Tal beschäftigt. Um uns herum zahlreiche Kühe und immer wieder Höhlen, die weit oben den Raubvögeln als Zuflucht dienen. Nach einiger Zeit, die wir dieses Tal entlanggelaufen sind, […]
Ein kleiner Appell an die fleißigen Leser_innen: Mehr Fahrtenberichte für den haddak!
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