Die beiden zwölfjährigen Freunde, der Chinese Großer-Tiger und der Deutsche Christian, Sohn eines Arztes und ehrenvoll Kompass-Berg (chinesisch: Kwi-Schan) genannt, wohnen in Peking. Was der eine in der Schule lernt, erzählt der andere seinem Freund, sodass beide in den Denkgewohnheiten der jeweils anderen Kultur zu Hause sind. Dennoch sind es zwei Großstadtkinder, die eines Tages einen Drachen steigen lassen wollen und dabei zufällig in die Auseinandersetzungen der chinesischen Kriegsherren der 1920er Jahre geraten. So beginnt die abenteuerliche Reise nach einem Zwischenfall mit dem Militärzug auf einem der damals noch seltenen Lastwagen. Mitten in der Wüste wird den Jungen »der Wagen, der von selber geht« gestohlen. Mit Phantasie, Charme und Disziplin verdienen sie sich die Hilfe der Wüsten- bewohner. Auf Pferden und Kamelen geht es weiter und aus der Fahrt ins Ungewisse entspinnt sich eine abenteuerliche Kundschaftergeschichte.
Die meist freundschaftlichen Begegnungen mit Karawanenführern, Räubern, Nomaden, Wüsten- fürsten, einem heiligen Mann sowie verschiedenen Mongolenstämmen verlangen von den Jungen Mut, Charme, Phantasie und Disziplin. Die Schilderungen der einzelnen Personen, ihrer Beziehungen zueinander, die Beschreibung der Landschaft, die Darstellung »des Guten, des Bösen und dessen, was zwischen Gut und Böse liegt« machen dabei vielleicht für die ältere Leserschaft den spannenderen Stoff aus, während Jüngere vermutlich die abenteuerliche Handlung in ihren Bann zieht. Die beiden erweisen sich als lernfähig und einfallsreich, und so kommen sie dem Ziel ihres geheimen Auftrags trotz vieler Hindernisse und Verwicklungen immer näher.
Vielleicht gerade wegen der ungewöhnlichen und scheinbar altmodischen Schreibweise, die eigentlich einen Brückenschlag in die asiatische Kultur darstellt, lernt man viel über China und die Mongolei, über die Menschen, die dort leben. Der Reiz des Buches liegt dabei für mich in der Stimmung und den vielen kleinen Einzelheiten.
Von den Gesprächen zwischen Großer-Tiger und Christian bis zu den Erklärungen zu Land und Kultur von einem, der die Gobi und ihre Menschen kennt und liebt und dem es gelingt, uns den Sandsturm auf der Haut spüren, das Argalfeuer riechen und die Honigbrotwürfel schmecken zu lassen. So entsteht ein »Kopfkino« mit hoher Erzähldichte, in dem bald eigene (Mongolei-) Fahrtenerlebnisse verschmelzen. Wunderbar sind auch die Redewendungen, die mich teilweise noch immer begleiten. »Da gibt es keine Hilfe!« ist der Stoßseufzer, von dem Christian und sein Freund Großer-Tiger vereinbaren, dass ihn immer nur einer von beiden sagen darf, wenn sie mal wieder bis über beide Ohren in Schwierigkeiten stecken. Davon gibt es reichlich auf ihrer unvorhergesehenen, langen Reise von Peking nach Urumtschi.Hochinteressant ist übrigens auch, dass viele Gestalten dieses Buches tatsächlich gelebt haben. Es gibt Fotos vom »alten Märin«, von »Mondschein« und von »Naidang«, sogar von der »Schwarzen Stadt Edsina«. Das erhöht den Reiz dieser Erzählung noch, die man ganz bestimmt nicht nur einmal liest.
Fritz Mühlenweg (1898–1961) hat uns eine Vielzahl an Bildern, Zeichnungen, Gedichten und Geschichten hinterlassen. Statt die elterliche Drogerie in Konstanz zu übernehmen, begleitete er 1927 den schwedischen Entdeckungsreisenden Sven Hedin* auf dessen letzter großen Mongolei- Expedition, um »weiße Flecken« auf der Landkarte zu füllen und Flugrouten für die Lufthansa auszukundschaften. Er lernte die mongolische Sprache, erledigte metereologische Aufgaben und »die Fahrtenkasse«.
»In geheimer Mission durch die Wüste Gobi« erschien Ende 2007 endlich wieder neu im Schweizer Liebelle Verlag. Vor einem Jahr legte dtv junior dann mit der Neuauflage der Jugendtaschenbuchversion »Großer-Tiger und Christian« nach, die gerüchteweise noch immer ein paar unschöne Kürzungen gegenüber dem »Original« hat. Im vergangenen Jahr hat dann der SWR zusammen mit dem Hörbuchverlag ein schlicht ausgeschmücktes, gut dreistündiges Hörbuch der Jugendbuchfassung produziert.
Buch & CD Tipp
- Mühlenweg, Fritz: In geheimer Mission, gebundene Ausgabe, 765 Seiten, Liebelle Verlag, ISBN 978-3-909-08158-5, 27,80 €
- Mühlenweg, Fritz: Großer-Tiger und Christian, Taschenbuchausgabe, 760 Seiten, dtv, ISBN 978-3-423-70523-3, 15,95 €
Mühlenweg, Fritz: Großer-Tiger und Christian, Hörbuch, 3 CDs, über 3 Stunden, Hörbuchverlag, ISBN 978-3-867-17315-5, 19,95 €
*sehr lesenswert für Abenteuerlustige ist der umfangreiche Artikel über Sven Hedin und sein Lebenswerk auf der Wikipedia: Sven Hedin
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