In was für einer bewegten Zeit wir doch leben. Die ganze Welt scheint auf den Beinen zu sein. Plötzlich vermischen sich Außenpolitik und Innenpolitik und was gerade noch auf dem Nachrichtenbildschirm flimmerte, kommt plötzlich an unseren Bahnhöfen an und schläft in unseren Turnhallen. Aber es sind doch keine Probleme, die hier auftauchen, sondern Menschen. In einer solchen Krise ist nicht mehr nur die ewig zuständige Politik gefragt, sondern wir alle. Überall zeigt sich auf rührende Art und Weise, wie bürgerschaftliches Engagement aussehen kann, wenn es darauf ankommt. Bürgerinnen und Bürger jeden Alters und jeder Religion fassen sich ein Herz und packen an, wo es geht, um diesen Menschen am Ende ihrer Flucht ein Zuhause zu bieten, ein Ankommen.
Wo sind eigentlich bei all diesen dramatischen Herausforderungen die Pfadfinder zu sehen? Was ist eigentlich aus der »Guten Tat« geworden? Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass die Gemeinschaft, für die wir Verantwortung tragen wollen, letztlich doch nur die Gemeinschaft der Pfadfinder ist. Genauso kommt es mir so vor, dass wir das »gute Miteinander aller Menschen« kaum über die Arbeit im Stamm hinaus voran bringen. Damit will ich nicht sagen, dass wir die Augen vor der gesellschaftlichen Herausforderung verschließen und schon gar nicht, dass wir irgendwie faul wären. Zweifellos tun wir alle sehr viel, indem wir uns in der Jugendarbeit bei den Pfadfindern engagieren. Auch damit leisten wir einen großen Beitrag für die Gesellschaft, neben dem ganzen Spaß, den es auch noch macht. Da wir aber nun mal alle auch selber Pfadfinderinnen und Pfadfinder sind, tun wir es dann nicht in erster Linie für uns selbst? Könnten wir nicht auch ein bisschen mehr in die Welt hinein wirken?
Dieser Widerspruch ist nicht neu. Angesichts der zahllosen Menschen, die nach ihrer Flucht in Deutschland ankommen, fällt es mir im Moment nur besonders auf. Gerade wir Pfadfinder, die wir sehr gut nachempfinden können, wie sich Gastfreundschaft in der Fremde, am Ende einer harten Tour anfühlt, bleiben doch auffällig unsichtbar. Wäre es nicht an der Zeit, alleine, als Sippe, als Stamm, als Bund die Komfortzone zu verlassen? Gibt es da nicht Werte und Kompetenzen für ein gutes Miteinander, die wir auch prima vor der eigenen Haustür einsetzen könnten? Oder bleiben wir lieber konsequent in unserer kleinen sympathischen Parallelwelt? Vielleicht haben wir dann auch irgendwann mal in einem Maße Menschen ausländischer Herkunft in unseren Reihen, wie es auch nur annähernd dem Durchschnitt entspricht. Aber selbst wenn nicht, wäre es immer noch gut.
Leitfaden fürs Engagement
Helfen? Das tut gut und das schmeckt gut, zumindest wenn es dich zur Kuchenspende und schweinefleischfreien Grillparty führt. Solltest du also den moralischen Tritt in den Hintern, den Reiz fremder Kulturen fühlen und dich von deinem Bildschirm losreißen wollen, findest du hier ein paar Punkte, die dich weiter bringen.
Was gibt es schon?
Gewöhne dich dran: Du bist selten der Erste, die auf eine gute Idee kommt. Daher ist es auch unter der Flagge der Hilfsbereitschaft sinnvoll erst einmal zu sehen, wer da eigentlich schon alles etwas macht. Meistens gibt es lokale Flüchtlingshilfen, oft um die Kirchengemeinden oder Vereine herum organisiert. Manchmal haben es diese freundlichen Rentnertruppen auch bis zu einem Internetauftritt geschafft, den ihr euch mal anschauen könntet. Sonst habt ihr hier schon die erste sinnvolle Aufgabe gefunden!
Beim Aufbau der Flüchtlingshilfe in Niederkassel habe ich zum Beispiel zunächst in der Gruppe »Begegnung« die »Allerwelt-Cafés« in lokalen Gemeindezentren mit organisiert, in denen sich Flüchtlinge und Einheimische regelmäßig bei Kaffee und Kuchen zwanglos kennenlernen können. Nach einiger Zeit habe ich gemerkt, dass die Information und die Organisation in der Flüchtlingshilfe verbesserungswürdig ist und habe im Stamm und der Stadt junge Menschen zusammengebracht und eine Gruppe gegründet, die eine Website sowohl für die Flüchtlingshilfe als auch für die Flüchtlinge selbst entwickelt.
Was wird gebraucht?
Neben der Suche nach dem, was es schon gibt, solltest du dir die Frage stellen, was es alles noch nicht gibt (was deutlich anspruchsvoller ist). Dabei ist es wohl auch nicht ganz unwichtig, was du überhaupt kannst und was dich interessiert. Wie auch bei der Arbeit im Stamm gilt: Eine Idee ist immer nur so gut wie die Leute, die sie dann auch umsetzen. Gleichzeitig findest du für gute Ideen aber auch immer gute Leute. Also keine Hemmungen: einfach auf die Menschen zugehen! Oft wirst du offene Türen einrennen und auf tolle Menschen stoßen, die du sonst nie kennengelernt hättest. In jedem Fall ist es wichtig, dass du erst einmal siehst, ob du nicht bei laufenden Aktionen mitmachen und helfen kannst, bevor du dir selber etwas vermeintlich Neues ausdenkst.
Natürlich kannst du auch auf die Flüchtlinge selbst zugehen, die in der Regel ja am besten wissen, was sie brauchen. Vielleicht kannst du dir aber ja auch vorstellen, was junge Menschen sich wünschen, die den ganzen Tag auf engstem Raum zusammen hängen und niemanden kennen. Ich würde mich auf jeden Fall über alles freuen, was mich in Kontakt mit Einheimischen und raus aus dieser Einrichtung bringt. Selbst, wenn Unterstützung durch Sprachkurse und Wohnungs-/Jobsuche super sind, so ist regelmäßiges Fußballspielen, Kochen oder auch eine Wanderung in der Umgebung mit Sicherheit besser als die quälende Langeweile in der Fremde.
Wie bringe ich mich ein?
Gut bist du meistens in dem, was du kannst und in dem, was dich interessiert. Am einfachsten ist es daher wohl, die klassischen Pfadfinder-Veranstaltungen auch so anzubieten, dass Flüchtlinge dort ebenfalls teilnehmen können. Spielen, Lagerfeuer und Stockbrot funktionieren in jedem Land und ohne viel Sprache. Glaub aber bitte nicht, dass ein einfacher Info-Zettel ausreicht. Wie würdest du in völlig fremder Umgebung reagieren, zumal noch nach einer Flucht und bei Menschen mit solch komischen Uniformen?
Aktionen und Angebote speziell für Flüchtlinge können gut auf die besondere Situation dieser Menschen eingehen. Schade wäre es allerdings, wenn diese dabei unter sich bleiben würden. Gerade der Austausch mit den Nachbarn sorgt doch dafür, dass aus »der Fremde« einmal »die Heimat« werden kann. Dazu gehört auch, dass Integration keine Einbahnstraße ist, denn von meinen Nachbarn kann ich durchaus auch etwas erwarten.
Tue Gutes und rede darüber
Es ist vollkommen in Ordnung auch mal die Werbetrommel zu rühren, egal ob für neue Aktionen Menschen zu motivieren sind, oder ob du über ein gelungenes Event berichten willst. Dabei geht es nämlich NICHT nur darum zu zeigen, wie toll du bist (das auch). Es geht vor allem darum zu zeigen, wie einfach es ist etwas zu tun und Beispiele zu liefern, was alle tun könnten. Und: Ja – es wäre schön, wenn dabei auch mal erwähnt würde, dass du bei den Pfadfindern bist bzw., dass eine Aktion von den Pfadfindern organisiert wurde. Wäre es nicht hübsch, wenn diese komischen, uniformierten jungen Menschen auch mal beim Spielen mit Ausländerkindern in die Zeitung kommen würden? Das nennt sich dann „Öffentlichkeitsarbeit“ und die ist viel mehr als nur Werbung. Wenn du deine ganzen Fähigkeiten, die du bei den Pfadfindern gelernt hast, auch einmal in der Gesellschaft einsetzt, die dich umgibt, wirst du erst sehen, was für ein krasser Typ du bist! Das auch mal nach außen zu zeigen, ist auch ein schönes Gefühl.
Mitreden!