Zu Beginn der Osterferien treffen wir uns zu siebt am Köln-Bonner Flughafen, um gemeinsam für eine Woche nach Rumänien zu fliegen. Zum einen wollen wir uns unser soziales Projekt in Botosani vor Ort ansehen, zum anderen wollen wir Land und Leute kennen lernen. Nach einer Stunde landen wir sicher in Bukarest. Schnell haben wir unser Auto gemietet und sind gleich überrascht: Vor uns steht ein nagelneues zitronengelbes Büschen.
Paris des Ostens
Die Taschen voller rumänischer Währung geht es auf die Suche nach einer netten und günstigen Unterkunft in der Stadt. Die finden wir auch schnell, so dass wir anschließend die erste Stadtbesichtigung starten. Bukarest ist auf den ersten Blick keine schöne Stadt. Viele Häuser sind ziemlich heruntergekommen und alles wirkt kaputt und schmutzig. Aber auf den zweiten Blick erkennt man doch, welche Häuserprachten sich hier verbergen, so dass wir schon bald wissen, weshalb Bukarest als „Paris des Ostens“ bekannt war.
Am nächsten Morgen geht es dann los Richtung Norden. Auf der Karte sieht das gar nicht soo weit aus – etwa 550 km Straße liegen vor uns. Doch schon bald ahnen wir, dass wir hier nicht mit unseren zeitlichen Einschätzungen rechnen können. Autobahnen gibt es so gut wie gar nicht und die Land- und Bundesstraßen überraschen mit diversen Schlaglöchern. Als wir aus der Stadt herausfahren, begegnen wir gleich dem ersten Pferdefuhrwerk. Noch sind wir von dieser Idylle ganz begeistert, aber in wenigen Tagen werden wir so viele Fuhrwerke gesehen haben, dass wir sie kaum zählen können. Wir freuen uns zu Beginn auch über die Menschen, die uns vom Straßenrand aus zuwinken. Erst gegen Ende unserer Reise verstehen wir, dass sie glauben, wir seien ein Taxi – die sind in Rumänien nämlich ähnlich gelb wie unser Bus.
Botosani liegt ganz oben im Nordosten Rumäniens in der Provinz Molwanien, einer der schönsten Gegenden des Landes. Zum Teil erinnert es uns mit seinen Holzhäusern an den Schwarzwald. Die alten Klöster lohnen einen Besuch. Das Besondere ist, dass sie von außen bemalt sind und somit viele Geschichten erzählen. In den Dörfern des Hinterlandes, die wir durchqueren, scheint die Zeit wirklich stehen geblieben zu sein: Die Straßen sind aus Lehm, jedes Haus hat einen eigenen Brunnen für Wasser, die meisten Menschen sind zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem Pferdefuhrwagen unterwegs. Auf den Feldern arbeiten sie ebenfalls mit Pferd und Pflug. Die älteren Menschen sitzen auf Bänken vor ihren Häusern; Hühner picken auf den Wegen herum, die Schweine und Ziegen grasen im Graben und an den Wegesrändern, Frauen schöpfen Wasser aus den Brunnen, auf den Dächern nisten die Störche. Die Frühlingssonne lässt alles idyllisch erscheinen aber wir sehen hinter all diesen ersten Eindrücken auch das einfache und zum Teil arme Leben dieser Menschen. Fährt man nur entlang der großen Bundesstraßen, so bleiben einem diese Eindrücke verwehrt…
Schließlich erreichen wir nach 8 Stunden Fahrt die Stadt Botosani. Hier treffen wir auf unsere Dolmetscherin Claudia, die uns herzlich willkommen heißt, uns unser Quartier in dieser Stadt zeigt und uns schließlich zum Pfarrer, dem Protopop Leonte führt. Dieser empfängt uns sehr herzlich und wir sprechen über unser Projekt und die Fortschritte vor Ort. Wir erzählen noch mal, wer wir genau sind, wie die Arbeit der Pfadfinder in Deutschland aussieht und weshalb wir uns für dieses soziale Projekt entschieden haben. Er führt uns herum und zeigt uns seine Kirche, den Platz, auf dem ein Spielplatz angelegt werden soll und er berichtet auch über seine weiteren Pläne für die Jugendarbeit vor Ort.
Um dies zu finanzieren, hat er Nähmaschinen aus Deutschland schicken lassen, auf denen kostbare Priestergewänder genäht werden.
Nach dem Zusammenbruch des Ceausescu-Regimes 1989 gibt es kaum Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche, schon gar nicht für diejenigen, die aus ärmeren Familien stammen. Und genau für diese will Herr Leonte einen Begegnungsort schaffen. Er berichtet uns, dass er vor vielen Jahren eine Armenküche in seiner Gemeinde eingerichtet hat, in der jeden Mittag einige Frauen Essen für etwa 70 bedürftige Menschen aus Botosani kochen. Um dies zu finanzieren, hat er Nähmaschinen aus Deutschland schicken lassen, auf denen kostbare Priestergewänder genäht werden. Diese werden dann verkauft und von dem Erlös wird die Armenspeisung finanziert.
Den weiteren Abend verbringen wir mit Claudia, die uns vieles über Land und Leute erzählt. Nach dem Besuch in Botosani fahren wir zunächst nach Schäßburg und besichtigen dort die kleine mittelalterliche Stadt, die uns mit ihren vielen verwinkelten Gässchen und alten Häuschen direkt gut gefällt. Trotz der Verständigungsschwierigkeiten werden wir herzlich empfangen und bewirtet. Bisher sind wir nur sehr freundlichen und hilfsbereiten Menschen hier begegnet. Am folgenden Tag durchqueren wir auf engen und kurvenreichen Strecken die Ostkarpaten. Unser erster heutiger Zwischenstopp ist in Bierta mit einer wunderbaren Aussicht auf die schneebedeckten Spitzen der Berge. Gegen Abend erreichen wir nach einer weiteren langen Fahrt das Örtchen Michelsburg – ein kleines Städtchen in der Nähe von Sibiu – Hermannstadt. Als die Sonne untergegangen ist, beschließen wir, Hermannstadt einen ersten Besuch abzustatten und sind schon bei der Einfahrt in die Stadt begeistert. Zu Recht ist Sibiu in diesem Jahr Kulturhauptstadt 2007. Die alten Bauten sind restauriert, der Marktplatz und die daran angrenzenden Häuser sind illuminiert. Wir bummeln durch die Gassen und unterhalten uns mit Einheimischen über Land und Leute.
Am folgenden Tag besuchen wir die Stadt noch einmal und wirbeschließen, uns auf den Zentralfriedhof das Grab des letzten Zigeunerkönigs anzusehen. Nach langer Suche zwischen tausenden von Grabsteinen und Gräbern haben wir es dann endlich gefunden und sind fast ein bisschen enttäuscht: Man hatte uns vorher von den Wachen am Grab berichtet, aber diese haben ihre Dienste wohl längst eingestellt. Der nächste Tag ist dann schon unser letzter Reisetag und vor uns liegt eine lange Fahrt zurück nach Bukarest. Unterwegs legen wir aber noch DEN Zwischenstopp ein, auf den wir seit Anfang der Reise warten: die Tölsburg – jene Burg, die dem Schloss von Graf Dracula sehr ähnlich sehen soll, und auf der Vlad Dracul auch genächtigt haben soll. Schon als wir in den Ort hineinfahren ahnen wir, dass die Rumänen wissen, wie sie diese Geschichte vermarkten können: von allen Seiten grinsen uns Vampirzähne von Taschen, Tassen, Mützen, T-Shirts und Fahnen entgegen. Nachdem wir Dracula-City wieder verlassen haben, legen wir die letzten hundert Kilometer nach Bukarest zurück. Wieder geht es vorbei an kleinen Dörfern, die dem letzten Jahrhundert zu entstammen scheinen, aber auch an riesigen Villen mit noch viel größeren Parks und Swimmingpools. Je näher wir Bukarest kommen, desto deutlicher werden die Unterschiede, die in diesem Land zwischen arm und reich herrschen. Schließlich haben wir die Hauptstadt erreicht und nach einiger Zeit auch ein Quartier gefunden. Wieder ziehen wir am Abend los und beenden unsere Reise mit einem letzten gemeinsamen Abendessen dort, wo wir sie vor einer Woche begonnen haben. Jetzt allerdings viel reicher um die vielen durchweg positiven Erlebnisse mit Land und Leuten. Und wir sind uns wohl alle einig, dass sich ein Besuch hier gelohnt hat und wir sicher wiederkehren werden.
Mitreden!