Im Januar 1988 entschloss sich unsere Roverrunde »Hinn Hepni« ein verlängertes Wochenende in Dresden zu verbringen. Man sagte, dass diese Stadt das »Venedig des Ostens« sei. Eine schöne Vorstellung, für die wir bereit waren, die mit einem Grenzübergang verbundene Bürokratie auf uns zu nehmen.
Doch zunächst einmal sah es nicht nach komplizierter Bürokratie aus. Die ersten Telefonate mit der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn verliefen reibungslos und eine »Einreise-Genehmigung zu Touristischen Zwecken« schien zum Greifen nahe. Aber wir hatten uns zu früh gefreut. Eine freie Fahrt, so wie wir sie gewohnt waren, schien unmöglich zu sein. Um ein Visum zu erhalten, mussten wir zunächst eine Adresse in Dresden nachweisen, bei der wir unterkommen würden. Also wählten wir einen für uns Pfadfinder eher untypischen Weg und kontaktierten ein Reisebüro. Wir hätten wahrscheinlich bis nach dem Mauerfall auf die Einreiseerlaubnis zum Touristischen Zweck warten müssen, wenn wir über diesen Wege nicht eine Pension sowie eine Stadtrundfahrt gebucht hätten. Nachdem auch der Haufen an Formularen abgearbeitet war, den ein Antrag auf Einreise in die DDR umfasste, konnte die weitere Planung beginnen. Doch ein dicker Katalog des Amtes bremste auch diese aus. Unter anderem waren das Einführen von Medikamenten, alkoholischen Getränken (nur in bestimmten Mengen), Zeitschriften und anderen Medien in die DDR strengstens untersagt. Ein Antrag auf Einreise war keinesfalls die Garantie, dass man die Grenze dann auch wirklich passieren durfte. Es galt also: bloß keine Aufmerksamkeit erregen und damit die Reise gefährden! Für uns bedeutete das konkret: eine Fahrt ohne Kluft! Denn auch wenn wir als Roverrunde unterwegs waren, war die Gefahr zu groß mit der FDJ verglichen zu werden und so die Fahrt schon an der Grenze beenden zu müssen.
An der »Grenzübergangsstelle« Wartha wurden wir äußerst genau durchsucht und kontrolliert.
An der »Grenzübergangsstelle« Wartha wurden wir äußerst genau durchsucht und kontrolliert. Die notwendige Grundausstattung eines jeden Autos, welches in die DDR überführt werden wollte, waren ein Feuerlöscher, ein Abschleppseil, ein Verbandskasten, sowie ein Warndreieck. Doch dank unserer akribischen Vorbereitung erklärten die Beamten uns nach 45 Minuten für sauber und übergaben uns eine Fahrerlaubnis für die angegebene Strecke. Wir wurden darauf aufmerksam gemacht, dass wir die Autobahn nicht zu verlassen hätten und die vorgegeben Geschwindigkeitsbeschränkungen – damals war auf DDR-Autobahnen 100 km/h erlaubt und die Volkspolizei kontrollierte das sehr genau – zu beachten sei. Außerdem fiel mehrfach der Hinweis, dass die von uns erworbene Einreisegenehmigung lediglich für den Landkreis Dresden gültig sei und für nichts anderes. Eine etwas andere Art und Weise uns eine schöne Reise zu wünschen.
Jetzt musste nur noch Geld getauscht werden. Die Regierung der DDR hatte eine Mindesttausch-Regelung verhängt, die besagte, dass jeder Bürger eines nichtsozialistischen Wirtschaftsgebietes bei Einreise in die DDR einen bestimmten Betrag in DDR-Mark umtauschen musste. Nach diesem »Zwangsumtausch« ging es dann endlich los, mit 100 km/h immer weiter dem »Venedig des Ostens« entgegen.
Meine Eindrücke von Dresden waren ziemlich gespalten. Das Stadtbild war geprägt von der Frauenkirche, die eigentlich nur noch ein Trümmerhaufen war. Auch das Schloss erstrahlte lediglich in einem Grau und wirkte ziemlich vernachlässigt. Plattenbauten um Plattenbauten reihten sich vor allem in den äußeren Stadtteilen aneinander und die Läden und Supermärkte waren wenig ansprechend. Ganz anders als im Westen war das Warenangebot äußerst überschaubar und das Äußere der Verpackungen hätte uns nicht zum Kauf motiviert. Ansonsten hielt Dresden sein Versprechen als »Venedig des Ostens«. Vor allem in der Altstadt entdeckten wir ein paar sehr schöne Stellen. Hier säumten alte Jugendstilvillen die Straßen und auch wenn diese teilweise leer standen und heruntergekommen waren, konnten wir dennoch erahnen, wie schön es damals um die Jahrhundertwende in Dresden gewesen sein musste.
Die Menschen, denen wir in der DDR begegnet sind, ergaben dagegen ein einheitliches Bild. Alle waren sehr freundlich und uns gegenüber sehr kontaktfreudig. Gleich am zweiten Abend lernten wir ein paar Leute kennen, die uns am nächsten Tag mit zum Schloss Moritzburg nahmen. Dort angekommen trauten wir unseren Augen kaum. Kurfürst August der Starke hatte einen in der Parkanlage des Schlosses liegenden Kanal nach der Meerenge zwischen Ägis und Marmarameer – den Dardanellen – benannt und symbolische Miniaturnachbauten der Befestigungsanlage der originalen Dardanellenschlösser nachbauen lassen, um dort Seeschlachten nachstellen zu können.
Zum Abschluss des Tages gönnten wir uns ein leckeres Essen im Restaurant. Doch auch hier hatte das kommunistische System seine Spuren gelassen und man konnte aufgrund von Warenmangel bei Weitem nicht all das bekommen, was auch auf der Speisekarte stand.
Was zu diesem Zeitpunkt natürlich keiner wissen konnte: Es sollte nur noch eineinhalb Jahre dauern, bis ihnen dies auch endlich möglich war.
Unsere neuen Freunde interessierten sich vor allem für Geschichten aus dem Westen. Gerne wären sie auch einmal dorthin in den Urlaub gefahren und äußerten uns gegenüber ihren Unmut über die Reisebeschränkungen. Eine Reise in die BRD wurde ausschließlich bei besonderen, meist familiären Anlässen erteilt und war somit nicht jedem möglich. Was zu diesem Zeitpunkt natürlich keiner wissen konnte: Es sollte nur noch eineinhalb Jahre dauern, bis ihnen dies auch endlich möglich war.
Auch auf das Thema Pfadfinder kamen wir zu sprechen. Eine Form der Jugendarbeit, die unsere Gegenüber so nicht kannten. Von unseren Berichten über Fahrten und Zeltlager waren sie aber sehr begeistert, wobei sie immer auch den Vergleich zu den Jungen Pionieren und der FDJ zogen.
Nach vier Tagen machten wir uns schließlich wieder auf die Rückreise. Die strengen Reisebedingungen ließen es nicht zu, den Aufenthalt spontan zu verlängern. Im Gegensatz zur Einreise erfolgte die Ausreise an der Grenze relativ schnell. Bereits nach einer halbe Stunde Fahrzeugkontrolle waren wir wieder in der BRD, in Richtung Heimat unterwegs. Das zwangsweise getauschte Geld, welches wir in den wenigen Tagen unseres Aufenthalts gar nicht alles ausgeben konnten, ließen wir in der Pension auf einem Tisch zurück. Mitnehmen, über die Grenze, durften wir das Ostgeld nämlich nicht. Alles in allem war es eine interessante Fahrt, auch wenn der Stadtrand von Dresden sehr trist und öde wirkte. Die Menschen waren sehr nett und aufgeschlossen, die Grenzer einmal ausgenommen.
Mitreden!