In der vorletzten Ausgabe des haddaks erschien ein Artikel von Jule, in dem sie die Frage stellte, ob unser Bund eigentlich offen für alle und inklusiv sei („Ist unser Bund offen für alle?“, haddak 01/2020, S. 11)
Sie fordert darin, dass sich der Bund konzeptionell damit auseinandersetzen solle, wie es gelingen könne, Kinder und Jugendliche mit den unterschiedlichsten Voraussetzungen in unseren Bund einzubeziehen bzw. Zugangsbarrieren abzubauen, um unseren Bund so allen zugänglich zu machen. Auch bezogen auf Kinder und Jugendliche mit Behinderungen als besonders von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffene Gruppe.
Das führte mich zu der Frage, wie es eigentlich in den anderen Verbänden und Bünden um uns herum aussieht. Gehen sie mit gutem Beispiel voran oder befinden wir uns in zweifelhaft guter Gesellschaft? Und hatte Baden-Powell die Teilhabe von Kindern mit Behinderung auch schon vorgesehen? Baden-Powell gründete mit der Pfadfinderbewegung „eine freiwillige, nicht politische Erziehungsbewegung für junge Menschen […], die offen ist für alle, ohne Unterschied von Herkunft, Rasse und Glaubensbekenntnis.“1
Auch Pfadfinder_innen mit Behinderung wurden von ihm berücksichtigt. In seiner Schrift Aids to Scoutmastership geht Baden-Powell im Jahre 1920 darauf ein, dass die weltweite Bruderschaft der Pfadfinder Kinder mit Handicap in ihre Gemeinschaft aufnehme und so deren Selbstwertgefühl steigere. Die Pfadfinderproben würden auf ihre speziellen Bedürfnisse angepasst.2
Anmerkung: Damals richtete sich die Pfadfinder_innenbewegung zunächst nur an Jungen, später kamen auch Mädchen hinzu.
» So sicherte Baden-Powell Pfadfinder_innen mit Behinderung die Teilhabe an dieser Jugendbewegung zu, lange bevor in den 1960er-Jahren der Begriff der Inklusion überhaupt zum ersten Mal aufkam.3 «
Die Pfadfinderverbände im deutschsprachigen Raum setzen das Thema Teilhabe unterschiedlich um: Die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) widmete im Jahr 2014 ihre Jahresaktion dem Thema »Nix Besonderes – gemeinsam Stark« und brachte für ihre Jugendgruppenleitungen eine Arbeitshilfe zum Thema Pfadfinden mit und ohne Behinderung heraus. Hier wird die Inklusion aller Kinder und Jugendlichen in den Fokus gestellt. Die Gruppenleitungen werden dazu aufgerufen, ihre Aktivitäten darauf abzustimmen, dass alle Gruppenmitglieder daran teilhaben können. Jedes Mitglied solle bei den Entscheidungen mit einbezogen werden und die Möglichkeit bekommen, seine eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten einzubringen.4
Auch der Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) setzt auf das Prinzip der Inklusion mittels Sippen, in denen sowohl Kinder mit als auch ohne Behinderung mitmachen können. Die Fachgruppe »Pfadfinden mit Allen« des VCP gab 2013 die Arbeitshilfe »Und alle machen mit! Pfadfinden – ein inklusives Angebot« für die Jugendleitungen heraus mit vielen Anregungen und Spielen, die dazu dienen, das jeweilige Gegenüber besser kennen und verstehen zu lernen.5
In der Schweiz gründete die Pfadfinderbewegung Schweiz schon im Jahre 1924 die erste Gruppe, die sich nur der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderung widmete. In mittlerweile 26 landesweiten »Pfadi Trotz Allem« (PTA)-Abteilungen arbeiten die Jugendgruppenleitungen ausschließlich mit Kindern mit Handicap und gehen dort auf deren Bedürfnisse gezielt ein.
Der Verband beschreibt in seiner Broschüre »PTA-die andere Art Pfadi zu machen«, dass dies den Kindern ermögliche an der Pfadfinderbewegung teilzuhaben, dass es sich bei den PTA-Gruppen aber nicht um eine Pfadfinderstufe im eigentlichen Sinne handelt.6 Eine Teilhabe der Kinder mit Behinderungen an den regulären Angeboten des Verbandes findet nicht statt, sondern es werden eigenständige Gruppen gebildet. Der Verband setzt hier auf Trennung statt auf Inklusion, denn die beiden Gruppen werden nie aufeinandertreffen und gemeinsam Pfadfinderei erleben.
Die Vorteile inklusiver Pfadfinderarbeit liegen doch klar auf der Hand: Kinder mit Behinderung können ihre Fähigkeiten und Talente in der Pfadfindergemeinschaft gewinnbringend einbringen und fühlen sich als Teil der Gruppe wertgeschätzt und gebraucht. Die Pfadfinderpädagogik nach Baden-Powell bietet dazu die günstigsten Rahmenbedingungen: Durch Learning by Doing können sich Jugendliche innerhalb ihrer Bezugsgruppe ausprobieren und durch Erfolg und Misserfolg sich selbst besser kennen und wertschätzen lernen. Sich mit dem eigenen Können innerhalb der Gruppe einzubringen gilt für Kinder ohne wie auch für Kinder mit Beeinträchtigungen. Durch die Gruppenmitglieder erhalten die Jugendlichen ein wichtiges Feedback zu ihrem Können und Verhalten, das ihnen möglicherweise verwehrt bliebe durch eine Trennung der Gruppen, wie sie zum Beispiel in der Schweiz üblich ist.
Dass es in der Kinder- und Jugendarbeit generell an Diversität fehlt, beschreiben zahlreiche Studien und auch Jule erwähnt das in ihrem Artikel. Eigene Konzepte zur Umsetzung von Inklusion hat die Pfadfinderbewegung im deutschsprachigen Raum bisher kaum hervorgebracht und die Literaturund Internetsuche zeigt wenige Ergebnisse zu Integrations- und Inklusionsarbeit der Pfadfinderverbände. Was nicht gleichbedeutend damit ist, dass dieses Thema dort nicht besprochen wird. Die Frage ist, ob die Pfadfinderbünde Inklusion nicht ohnehin schon leben und damit selbstverständlich und ohne Vorbehalt den humanistischen Ideen ihres Gründers folgen und es keines Konzeptes bedarf.
Dazu im Widerspruch steht, dass einige Studien zu dem Ergebnis kommen, dass es in der Pfadfinderbewegung grundsätzlich an Vielfalt mangelt und sich Eliten bilden. 7 8 Ebenso die Tatsache, dass Menschen mit Behinderung generell in der Kinderund Jugendarbeit unterrepräsentiert seien.9 Es gilt dringend herauszufinden, woraus die Barrieren bestehen, die Jule in ihrem Text anspricht und ob diese unbewusst oder im schlimmsten Fall sogar bewusst aufgebaut werden. Dazu würde ich mir einen konstruktiven Austausch in unserem Bund wünschen.
Quellen:
1 Hansen, W., Der Wolf, der nie schläft, 2018, S. 172.
2 Vgl. Baden-Powell, R., Aids to Scoutmastership, 1920,S. 59.
3 Vgl. Stichweh, R., Inklusion und Exklusion in der Weltgesellschaft – Am Beispiel der Schule und des Erziehungssystems, 2007, S. 113.
4 Vgl. Bundesleitung der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg, Nix Besonderes 14+, 2014, S. 34.
5 Vgl. VCP e.V., Und alle machen mit!, S. 7–20.
6 Vgl. Kalt, G. u. a., PTA, 2009, S. 11.
7 Vgl. Düsseldorff, K., Elite und Benachteiligte, 2013, S. 71–90.
8 Vgl. Schneider, N., Die soziale Schicht der Teilnehmer*innen auf dem Meißnerlager 2013, 2017, S. 283–291.
9 Vgl. Voigts, G., Inklusion in der Kinder- und Jugendarbeit zwischen Vision und Wirklichkeit, 2019, S. 150.
Mitreden!