Ich hatte mir das ja alles ganz anders vorgestellt: Hier ist eine schöne Wiese. Da stellen wir dann ein paar Dixi-Klos und eine Jurtenburg drauf und ab dafür. Doch jetzt muss plötzlich noch geklärt werden, wem diese Wiese eigentlich gehört und woher Wasser und Strom kommen sollen. Dazu kommt noch, dass es sich um ein Landschaftsschutzgebiet handelt. Im Übrigen stellt doch der Schäfer immer seine Schafe hier ab. Schon mal über Hochwasser nachgedacht? Ach ja! Und die Ruhestörung. Dafür füllen wir dann noch dieses Formular aus… Vor Monaten hatte ich mal einen Fernsehbericht darüber gesehen, dass Pfadfinder zunehmend durch den deutschen Bürokratiefleischwolf gedreht werden. Ja, und ich muss zugeben, dass macht auch vor uns nicht halt. Dabei wollen wir bloß ein kleines Bundessingefest feiern. Und schön soll es werden. Schließlich ist es das 25. Jubiläumsbusife.
Jetzt sitzen wir also hier im Rathaus und uns gegenüber acht Vorsitzende aus allen möglichen Ämtern, die Fragen an uns haben. Allen voran der Bürgermeister. Irgendwie ist mir kalt. Kann aber auch am Wetter liegen. Es wird einfach nicht Sommer. Der Bürgermeister war bei der Waldjugend. Das macht einen Bonuspunkt für uns. In mir kreisen immer wieder die Gedanken, warum so ein Aufwand um uns gemacht wird. Wir wollten ja bloß im engsten Kreis feiern: 500 Freunde aus unserem Bund Mosaik. Das Rathaus betrachtet das eher als erweiterten Kreis.
Wir wollten ja bloß im engsten Kreis feiern: 500 Freunde aus unserem Bund Mosaik
Nach und nach teilen die Damen und Herren uns ihre Bedenken mit und stellen Fragen. Philipp und ich sind vorbereitet, aufgeregt und stehen so gut es geht Rede und Antwort. Als Unterstützung haben wir noch den Schröder mitgebracht. Der kennt sich ja eigentlich immer mit allem aus. Denn es stehen Bauanträge, Landschaftsschutz, Wasseranschlüsse, Müllentsorgung, Brandschutz und Lärmschutzauflagen auf der Liste. Vor allem geht es um den Schutz des Deiches und darum, dass niemand im Rhein ertrinkt. Aber diese Punkte sind für ein Lager ja selbstverständlich. Doch langsam wird mir bewusst, dass das Thema Pfadfinder für Außenstehende gar nicht so selbstverständlich ist. Was wir seit über 100 Jahren praktizieren ist für die uns Gegenübersitzenden Neuland. Noch während wir dort sitzen und ihnen zuhören versuche ich innerlich die Perspektive zu wechseln. Angenommen ich wäre Beamter und mir würden drei Gestalten in Kluft gegenüber sitzen, die was von einem Bundessingefest erzählen. Was würde ich wohl davon halten? Na klar: Das muss ein großes Festival sein, nach dem auf einer Schlammwiese alte Sofas und Plastikzelte zurück bleiben.
Wir zeigen also Fotos, erklären, dass wir das wirklich können und uns alle Mühe geben werden niemanden zu belästigen. Besonders interessiert den Herrn vom Bauamt, auf welchen Seminaren man das Bauen solcher Zeltkonstruktionen erlernen kann. Wir wechseln einen kurzen Blick: Seminare? Doch schließlich willigen alle ein. Wir bekommen einen Packen Unterlagen in die Hand gedrückt, die wir bis nächste Woche ausfüllen müssen und eine Reihe Termine, die eingehalten werden wollen. Ansonsten dürfen wir loslegen. Beim Rausgehen nimmt mich die Kollegin zur Seite, die ab jetzt für uns zuständig ist: »Das ist doch mehr als ein Hobby, oder? Fragen Sie sich nicht manchmal, wofür Sie das tun?«
In den folgenden Wochen füllen wir Anträge aus, beantragen Ausnahmegenehmigungen, von denen wir gar nicht wussten, dass es sie gibt: Wie lange wollen wir Musik machen, verkaufen wir Essen oder Getränke, wer beaufsichtigt die Kinder? Der Hydrant muss gefunden werden, wie entsorgen wir das Abwasser, Strom können wir von dieser oder jener Baustelle beziehen, der Deich muss so und so abgesperrt werden… Dann ein Treffen mit der Feuer wehr: Wo plant ihr die Feuerstellen? Habt ihr genug Feuerlöscher? Eine Brandschutzunterweisung muss her! Die Küche plant die Versorgung und der Getränkelieferant wird ausfindig gemacht. Drei Wochen vor dem BuSiFe folgt der heikelste Teil: Die Information der Anwohner. Unsere Taktik ist klar: Die süßesten Kinder des Stammes sollen das übernehmen. Also marschiert unsere Meute durch die Häuserreihen und verteilt Zettel. Wir sind aufgeregt, was die Leute wohl davon halten werden. Doch zu unserer Überraschung sind die Nachbarn, die man persönlich trifft, total offen und positiv eingestellt. Sie freuen sich für uns und finden Pfadfinder sowieso total toll. Da sind ja noch ein paar Bonuspunkte für uns! Eine Woche vor dem BuSiFe treffen wir uns mit den Mitarbeitern der Stadt auf dem Lagerplatz. Das nennt sich dann formal »Ortstermin« und dient dem Festhalten des aktuellen Zustandes der Wiese. Der Schäfer hat extra vorher gemäht. Aber das bisschen Heu müssten wir dann noch wegräumen. Tatsächlich sollte die Sache mit dem Heu noch eine Woche dauern. Denn Heu ist gar nicht mal so wenig, wenn es sich auf 6 Hektar verteilt. Als wir vom Platz gehen fragt mich die Mitarbeiterin der Stadt: »Und wie hoch ist die Frustration bei Ihnen schon? Fragen sie sich nicht ständig, wofür sie das überhaupt alles machen?«
Letzter Stammesrat vor dem Aufbaulager: Am Sonntagnachmittag sitzen wir im Heim und besprechen die Details. Alles ist bestellt. Manches muss spontan vor Ort ausprobiert oder gebaut werden. Material wurde schon bei den Stämmen eingesammelt, die Deko ist fast fertig. So viele Leute haben an den Vorbereitungen mitgewirkt und ihr Bestes gegeben. Und das Allerbeste: Die Kälte ist weg. Jemand hat exakt an diesem Wochenende die Sonne angeknipst und das Hochwasser weggespült. Am Nachmittag hole ich noch unsere Erste-Hilfe- Kiste ab. Der Freund, der sie überarbeitet hat, ist Sanitäter und erkundigt sich nach meinem Befinden. Er hat selbst jahrelang Kinderfreizeiten geleitet. Wir unterhalten uns lange. Am Ende sagt er: »Saskia, wenn Du Dich jemals fragst: »Warum mache ich das überhaupt?«, dann solltest Du sofort aufhören.«
Saskia, wenn Du Dich jemals fragst: »Warum mache ich das überhaupt?«, dann solltest Du sofort aufhören.
Montags beginnen wir dann mit dem Aufbau. Die Sache mit der Jurtenburg er weist sich als knifflig. Aber sie steht tatsächlich schon nach zwei Tagen. Nach und nach tref fen Waschstellen, Küchenzelt, Gasflaschen, Feuerlöscher und die Bühne ein. Auf dem Damm entsteht immer mehr Verkehr. Auch die Infotafel am Eingang des Lagerplatzes findet reges Interesse bei den Fahrradfahrern, was den einen oder anderen Beinaheunfall verursacht. Auffällig ist auch, dass häufig dieselben Personen auf dem Damm stehen. Das fasziniert uns irgendwie. Denn das Interesse dieser Anwohner scheint so groß zu sein, dass sie extra wieder kommen um den Fortschritt unserer Aufbauarbeiten zu beobachten. Auch die Mitarbeiter von der Stadt schleichen täglich um uns rum. Aber schon nach zwei Tagen habe ich eigentlich nicht mehr das Gefühl kontrolliert zu werden. Es scheint ein ehrliches Interesse an unserer Arbeit zu sein.
Am Freitag bin ich so nervös, dass ich eine Stunde vor Anreise der Teilnehmer noch mal nach Hause gehen muss um durchzuatmen und mich zu beruhigen. Anderen geht es auch so. Ich bin sicher, dass alles schief geht. Die Jurtenburg wird abbrennen, der Deich geht kaputt oder jemand ertrinkt im Rhein. Mindestens aber wird jemand um 22 Uhr die Polizei anrufen, weil wir zu laut sind.
Das Bundessingefest findet bei strahlendem Sonnenschein statt. Drei Tage werden wir von der Sonne gegrillt und wir singen, bis wir keine Stimmen mehr haben. Niemand ruft die Polizei, niemand ertrinkt, nichts brennt und der Damm ist genauso schön wie vorher. Als wir im Essenskreis sitzen sagt ein Sippling zu mir: »Das ist so mega geil hier. Auf das nächste Lager kann ich leider nicht mitkommen. Meine Eltern zwingen mich, mit nach Kuba zu fliegen. Dabei wäre ich ja lieber wieder mit Euch gefahren.«
Wäre ich jetzt gerne in Kuba? Nein. Warum ich das eigentlich alles mache? Weil ein kleiner Junge mit seinen großen blauen Augen mich gerade ansieht und nirgends lieber wäre als hier.
Mitreden!