Fast wäre Sören bei den Pfadfindern gelandet. Aber halt nur fast. Der nächste Stamm war ein gutes Stückchen weiter weg und außerdem, so sagt er, kannte er niemand bei den Pfadfindern. Stattdessen ist der Zwölfjährige nun seit knapp vier Jahren Mitglied in der Horte »Frechdachse« der Deutschen Waldjugend. Mit seinem Freund Omar steht er jetzt vor der »Vogtei« auf dem Bundeslager der Waldjugend und schaut sich das Programm der nächsten Tage an, die unter dem Motto »Afrika, Afrika« stehen.
Die Deutsche Waldjugend entstand in den 50er Jahren aus der Jugendarbeit der Schutz- gemeinschaft Deutscher Wald (SDW). Diese hatte es sich zur Aufgabe gesetzt, die im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit abgeholzten Wälder wieder aufzuforsten und die Bevölkerung über den Wert des Waldes aufzuklären. Und so versuchte man auch Schulklassen dafür zu gewinnen, bei der Wiederaufforstung mitzuhelfen. Daraus entstanden bald eigene Jugendgruppen, die von engagierten Forstleuten und Lehrern angeleitet wurden. 1957 schließlich wurde von Klaus Gundelach der erste Landesverband der »Deutschen Waldjugend« gegründet, der vorwiegend »Horten« aus Schleswig- Holstein umfasste. Weitere Landesverbände traten hinzu und in den 60er Jahren wurde schließlich der Bundesverband gebildet. Die unterste Einheit in dem Bundesverband bilden dabei die »Horten«. Sie haben meistens 10–15 Mitglieder und umfassen nicht immer nur eine Altersstufe. In größeren Orten, wo es mehrere Horten gibt, wird ein Horst (auch Hortenring genannt) gebildet, wie z. B. in Lübeck. Auch in der Waldjugend gilt das bündische Prinzip »Jugend führt Jugend« – wenngleich es auch einige Ältere gibt, die sich noch in der Gruppenleitung engagieren. Heute zählt die Deutsche Waldjugend in 12 Landesverbänden über 4.000 Mitglieder.
Zwei davon sind Sören und Omar. Die sind jede Woche, sofern das Wetter es zulässt, mit ihrer Horte im Wald. »Wir haben schon Nistkästen für Vögel gebaut und aufgehängt, Bäume gepflanzt oder ein Tipi gebaut«, erzählt Omar. Vorwiegend sind sie dabei in ihrem »Patenforst« unterwegs. Das ist ein Waldstück, das die Horte der Waldjugend ganzjährig in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Förster betreut. Auch die Proben, die man als Waldläufer – so nennt man sich selbst – absolvieren muss, bestehen zum großen Teil aus Naturkunde und Pflanzenbestimmung. Wahrscheinlich gehört die Waldjugend zu den wenigen Bünden, deren Mitglieder wirklich wissen, was sie da im Wald sehen. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass einige, wenn sie mal der Waldjugend entwachsen sind, auch weiterhin im Wald arbeiten. So findet man unter den älteren Waldläufern viele Förster, Biologen oder Waldpädagogen.
Viel Naturschutzarbeit ist also in der Waldjugend an der Tagesordnung. Dass das aber nicht alles ist, macht schon die zweite Frage von Sören an den Reporter klar: »Bist Du von den Wandervögeln?« Die haben Sören und Omar nämlich auf der Burg Balduinstein gesehen, wo sie schon öfters mit ihrer Horte hingewandert sind. Und wenn man seinen Blick durch das Bundeslager schweifen lässt, sieht man überall nur Kohten und Jurten. Dazwischen wuseln zahlreiche Kinder und Jugendliche, die Gitarre spielen, das Mittagessen am horteneigenen Feuer kochen oder an Lagerbauten arbeiten. Die meisten tragen die charakteristische grüne Kluft mit dem grün-schwarzen Halstuch. Auch auf Fahrt gehen die meisten Gruppen – wenn auch nicht alle. Die Bundeslager finden alle zwei bis drei Jahre in Deutschland statt, die Großfahrten der Horten dagegen auch ins Ausland. Eindeutig »bündisch« also. Kein Wunder, stießen doch bereits in den ersten Jahren der Waldjugend einige Gruppenführer aus dem Bereich der »Bündischen Jugend« hinzu. Sie suchten eine neue Aufgabe und brachten dadurch bündisches Traditionsgut mit in den Bund ein – so zum Beispiel heinpe (Heinrich Steinhöfel), der aus der Deutschen Jungenschaft in die DWJ wechselte. Das Liedgut der Waldjugend ist dadurch sehr geprägt und sogar einige der »Klassiker«, die wir auch kennen, kommen aus diesem Bund, z. B. »Der Piet am Galgen« oder »Wenn der Abend naht«. Eine ganz eigene musikalische Tradition hat die Waldjugend allerdings auch: das Jagdhornblasen. Dafür gibt es auf dem Bundeslager sogar einen eigenen Wettbewerb – neben dem obligatorischen Singewettbewerb.
Aber was überwiegt denn nun mehr? Ist man eher Naturschutzjugend oder jugendbewegte Gruppe? Die ehemalige Bundesleiterin Franca kann sich − oder besser will sich − nicht entscheiden: »Das gehört für mich beides einfach zusammen«.
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