Lächelnd zeige ich dem deutschen Beamten meinen Reisepass. Ein Blick und er winkt mich weiter. Ich bin wieder daheim. Später gehe ich durch die Altstadt nach Hause und alles ist vertraut und fremd zugleich.
Die Warnung auf Englisch: Military firing area, entrance forbidden.
Drei Wochen lang war ich mit Rasmus in Israel – auf Fahrt! »Ist das möglich?«, mag man fragen und auch ich frage mich das auf dem Nachhauseweg durch die nächtliche Stadt, und finde keine klare Antwort. Schon in den ersten Tagen scheint uns Israel »Nein« sagen zu wollen. Die erste Nacht verbringen wir noch in einem heruntergekommenen Hostel in Tel-Aviv. Wir kaufen auf dem Markt Lebensmittel, in der Apotheke Spiritus und im Trekkingladen eine Wanderkarte – auf Hebräisch. Durch die fremden Schriftzeichen wird selbst das Einnorden der Karte zu einem Glücksspiel. Zusammen mit vielen Soldaten fahren wir mit dem Bus in die Negev, die Wüste im Süden Israels. Kurz vor Dämmerung halten wir am Startpunkt unseres Tippels, einem Kibbuz, eine kommunenartig organisierte Siedlung. Unsere ursprüngliche Route stellt sich als nicht haltbar heraus: Anwohner erzählen uns, dass hinter dem Kibbuz militärisches Sperrgebiet beginnt. Auch das Verlassen des Ortes erweist sich als schwierig: komplett eingezäunt, das automatische Tor am Eingang öffnet nur für Autos, nicht für uns, das Telefon am Tor ist tot. Also warten wir auf den nächsten PKW, das Tor öffnet sich und wir schlüpfen heraus. Zwischen Ortschaft und Schnellstraße legen wir uns unter Bäume, nahe des Zufahrtweges. Militärische Übungen werden hier nicht stattfinden, das Artilleriefeuer, das irgendwann einsetzt, beunruhigt uns trotzdem.
Der nächste Tag versöhnt uns zunächst. Zwar sehen wir vormittags in den Hügeln im Osten wieder Artillerie einschlagen, aber wir sind auf Fahrt, und das in der Wüste. Es wird heiß, es ist staubig. Wanderwege gibt’s natürlich nicht. Wir sind in Jeepbahnen unterwegs, die großen sind auch auf der Karte eingezeichnet, aber es gibt viel mehr davon, und welches die Haupttrasse ist, bleibt oft unklar. Wir biegen zu früh ab, laufen deswegen im Kreis, glauben, dass irgendwelche Sträucher auf die auf der Karte eingezeichnete »Quelle« hindeuten, und kommen dann doch mittags bei derselben an. Zwar ist sie eingezäunt, und wir haben genug Wasser dabei, um nicht einbrechen zu müssen, aber daneben steht der erste Baum seit Stunden und in der Siesta fühlen wir uns schon richtig »unterwegs«. Nachmittags wird es böig. Unser Weg führt uns langsam in einem großen Bogen zur Schnellstraße zurück, die wir überqueren wollen. Von hier führt ein Fahrradweg zum berühmten Kibbuz Ste Boker, den wir laufen wollen. Wir erreichen die Straße. Weiter südlich sehen wir einen Weg von der Schnellstraße abgehen, ein Stück über die Ebene führen, und dann in einem Canyon in den Hügeln verschwinden. Bis zum Sonnenuntergang ist es noch eine gute Stunde. Wir entschließen uns dagegen, querfeldein zu laufen und gehen den Umweg zur Einmündung des Fahrradweges auf die Schnellstraße. Dort trifft es uns wie der Schlag: Auf der Ecke steht ein Betonquader, an der Seite ein blauweißes Fahrradwegzeichen, auf der Vorderseite die Warnung auf Englisch, Arabisch und Hebräisch: Military firing area, entrance forbidden. Wir sind mit der Situation merklich überfordert. Dass der, auch auf der Karte ausgezeichnete Radweg nicht passierbar sein könnte, damit hatten wir nicht gerechnet. Nach einigen Minuten des Schweigens besehen wir die Karte noch einmal genauer und sind uns sicher, dass wir vor Einbruch der Dunkelheit nicht aus dem mutmaßlichen Übungsgelände rauslaufen können. Also erst einmal einen Schlafplatz finden. In einem Graben nahe der Schnellstraße legen wir in leidlichem Windschutz unser Gepäck ab. Wir reden nicht viel, kochen noch, singen trotzig einige Lieder und gehen dann schlafen. Sowohl körperlich, als auch geistig sind wir geschafft.
In der Nacht regnet es. Natürlich haben wir kein Zelt aufgebaut, immerhin sind wir in der Wüste, liegen aber immerhin unter Planen, und werden nicht nass. Nur trocken ist am Morgen nichts mehr. Nach Kaffee und Sonnenaufgang entscheiden wir uns, abzubrechen. Auf der Karte ist das Sperrgebiet nicht zu identifizieren und wir haben keine Lust, irgendwo hin zu fahren und wieder umkehren zu müssen, oder uns sogar ungewarnt in einer Schießübung wiederzufinden.
Auf der Kreuzung gibt es eine Bushalte. Einen Bus sehen wir noch in der Ferne wegfahren, also versucht es Rasmus mit dem Daumen. Erfolgreich! Schon nach kurzer Zeit halten zwei Israelis in einem Viersitzer, ein Rucksack passt knapp in den Kofferraum, ein zweiter landet zusammen mit der Gitarre auf dem Schoß. Wir werden bis zum großen Busbahnhof in Beerscheva gefahren, von dort aus nehmen wir einen Bus nach Arad.
Wir wissen: Es gibt einen Wanderweg von Arad zur Festung Massada, am Toten Meer. Wir haben: eine 1:200.000 Straßenkarte Israel. Es folgen zwei Tage Fahrt durch Geröllwüste, unglaublich schön, eindrucksvoll und stimmig. In diesem lebensfeindlichen Nirgendwo treffen wir immer wieder auf Beduinen, die Ziegenherden durch die karge Steinlandschaft treiben. Wo sie die Tiere füttern ist uns unklar, nur selten durchbricht ein grauer Strauch das Geröll. Der Wind pfeift und in der zweiten Nacht werden wir trotz Zelt noch richtig nass.
Aber die Stimmung ist »Regen auf Fahrt«, etwas, womit wir umgehen können. Den geplanten Sonnenaufgang über dem Toten Meer vermiest uns der Regen, der Ausblick von der Festungsanlage Massada entschädigt uns aber.
Die drei Tage, die wir in Jerusalem verbringen wohnen, wir wieder in einem Hostel, wir erkunden Kirchen, historische Plätze und Altstadt, treiben uns aber auch einfach in der Stadt herum, gehen auf Märkten einkaufen und beobachten das geschäftige Treiben.
Die letzten zehn Tage verleben wir in Galiläa. Wir laufen von Nazareth zum See Genezareth und, nach einem Tag wohlverdienter Pause, nach Akko am Mittelmeer. Wir sind auf Fahrt, doch immer wieder gibt es Situationen, die uns bewusst machen, dass wir nicht auf Wochenendtrip in Europa sind: Sei es wildes Hundegebell, Araber, die uns böse anstarren, weil sie uns für Israelis halten, tieffliegende Kampfhubschrauber oder umzäunte Ortschaften. Immer wieder erinnern wir uns: Wir sind fremd hier.
Immer wieder erinnern wir uns: Wir sind fremd hier.
Und doch ist der Frühling in Galiläa unglaublich grün, das Fahrtengebiet von wilder Schönheit, wir begegnen netten Menschen, Juden wie Araber, und lernen das Land und seine Zerrissenheit immer besser kennen und verstehen. Und als das Mittelmeer aufgepeitscht gegen die antiken Hafenmauern von Akko schlägt, die Sonne im Westen im Meer versinkt und die Wochen an mir vorbeistreichen, da weiß ich nicht, ob die Fahrt in Israel möglich ist, aber ich spüre, dass sie für mich die einzig richtige Möglichkeit ist, dieses Land zu bereisen.
Rasmus bleibt noch eine Woche länger. Wir fahren zusammen mit dem Zug an der Küste entlang, in Haifa steigt Rasmus aus, ich fahre nach Tel Aviv zum Flughafen. Als ich in der nächsten Woche lese, dass die Polizei in Haifa eine Autobombe entschärft hat, sind wir zwar nicht mehr dort, aber mir läuft es trotzdem kalt den Rücken runter.