»Der im Jahr 2010 gegründete Bund Moslemischer Pfadfinder und Pfadfinderinnen Deutschlands (BMPPD) findet seine ethische Grundlage in den Lehren des ehrwürdigen Koran und in der Sunna (Tradition) des Propheten Mohammad.
In der Nachfolge des Koran bekennt sich der BMPPD zur dialogischen Begegnung mit Menschen anderen Glaubens, Rasse, Hautfarbe, Sprachgemeinschaft und Nationalität, die es als gleichberechtigte Partner anerkennt.«
So steht es in einem Flyer des BMPPD. Doch was ist der Bund wirklich?
Der Bund ist ein junger Zusammenschluss, der in Form und Inhalt der DPSG sehr ähnlich ist, da die DPSG dem Bund unter die Arme greift und den BMPPD unterstützt, zum Beispiel durch die gemeinsame Ausbildung der Gruppenleiter. Wie jeder Pfadfinderbund, hat auch der BMPPD wöchentlich Heimabend und fährt auf Lager. Es gibt fünf Stämme in NRW und Hessen. Die Zielgruppe und Nische sind Kinder und Jugendliche muslimischen Glaubens. Solch ein Pfadfinderbund fehlte bisher neben den katholischen und evangelischen Verbänden sowie dem interkonfessionellen Bereich, dem wir angehören.
Um den Bund etwas näher kennen zu lernen, haben wir für euch ein Interview mit dem Bundesvorsitzenden des BMPPD, Mohamed Saddouk, geführt.
haddak: Warum benötigt es einen explizit muslimischen Pfadfinderverband?
Mohamed: Wenn man sich in der Jugendarbeit in Deutschland umguckt, haben wir gar keine richtige muslimische Jugendarbeit. Da sind uns die Protestanten oder die Katholiken ungefähr 50 bis 100 Jahre voraus. Jede Pfarrgemeinde hat eine Jugendgruppe oder Pfadfinder oder macht eine Ferienreise. Das gibt es im Endeffekt in muslimischen Gemeinden nicht.
Wenn du das beschreiben würdest, deine bisherige Pfadfinderlaufzeit, was ist dein persönlicher Höhepunkt gewesen?
Ich glaube, mein persönlicher Höhepunkt ist das Projekt ‚Flamme der Hoffnung‘ gewesen, als wir nach zwei Jahren in Berlin angekommen sind und die Endzeremonie gefeiert haben. Das war eigentlich so ein Höhepunkt, den der komplette Verband hatte.
In jeder Stadt hat man Pfadfinder kennengelernt, in jeder Stadt hat man verschiedene Kontakte geknüpft und die bestehen heute noch und das ist natürlich sehr schön.
Info: Flamme der HoffnungDas berühmteste Projekt des BMPPD war die »Flamme der Hoffnung«, ein Begegnungsprojekt, quer durch Deutschland. Es diente dem Austausch, dem Kennenlernen und dem Vorstellen des Bundes bei Offiziellen und Interessenten. Dabei ist der Bund mit einem Reisebus herumgefahren und hat öffentlichkeitswirksam auf Bühnen eine Fackel überreicht. Rund um die Bühne gab es ansprechendes Rahmenprogramm und auch eine Zukunftswerkstatt, wo mit anderen Jugendlichen die Frage behandelt wurde, in welcher Zukunft man gemeinsam leben möchte. |
Ist denn noch ein zusätzlicher Verband eigentlich gut für die Pfadfinderbewegung in Deutschland?
Wir bieten ja ein Angebot an, was andere Verbände nicht haben. Wir sprechen direkt die muslimischen deutschen Jugendlichen an. Das macht kein Verband. Und wir kommen auch aus dem Hintergrund, das heißt, dass wir Migrationshintergrund haben. Wir können eigentlich die muslimischen Jugendlichen hier in Deutschland viel, viel besser erreichen. Wir haben natürlich ganz andere Beziehungspunkte zu denen.
Man muss sich vorstellen, die Jugendlichen, die wir haben, die unterscheiden sich überhaupt nicht von den Jugendlichen, die ihr habt. Die gehen in die gleiche Klasse und sitzen auch nebeneinander. Nur eben, dass sich das in der Freizeit dann trennt. Wir machen da so einen Kreis und bringen die dann nachmittags in den Pfadfinderverbänden wieder zusammen.
Wie läuft bei euch ein typisches Lager ab?
Es ist im Endeffekt nichts anders im Lager, das läuft bei uns genauso wie bei euch auch, dass wir ein Motto erstellen, wir achten dann vielleicht noch ein bisschen mehr auf den Inhalt, dass die Kinder auch nachhaltig aus dem Lager rausgehen und Nachhaltigkeit erfahren und mit dem Thema, was sie da gelernt haben, oder die Erfahrung, die sie auf dem Lager gemacht haben, dass die die auch weitertragen, in die Gesellschaft.
Seid ihr alle Migranten?
Migranten, Ausländer, das Wort höre ich nicht gerne. Vielleicht mit Migrationshintergrund, das stimmt schon. Wir fühlen uns aber alle als Deutsche. Natürlich lässt sich nicht verleugnen, dass immer noch welche ein bisschen verwurzelt sind in ihren Heimatländern, wenn man mal die Oma besuchen geht. Aber die meisten, mit denen wir zu tun haben, sind schon die dritte Generation, die eigentlich ihre Wurzeln hier in Deutschland ausgebreitet hat.
Kommen wir zu der Spiritualität. Wie lebt ihr euren Glauben aus?
Wir leben unseren Glauben ganz normal aus, wie jeder Gläubige auch. Wir haben dann unsere Regeln, das heißt, am Ramadan wird gefastet, da haben wir auch übrigens keine Lager, das sind die 30 Tage. Auf den Lagern selbstverständlich gibt es ein Zusammenkommen und es gibt auch Gebete auf den Lagern, die wir natürlich alle einhalten, die Kinder dazu bewegen auch diese spirituelle Art der Pfadfinderarbeit mit zu machen.
Müssen eure Frauen Kopftuch tragen?
Nein, müssen sie nicht. Sie können, sie müssen nicht. Es steht auch nirgendwo geschrieben in der heiligen Schrift, im Koran, dass man Kopftuch tragen muss, teils ist es nur Tradition. Jeder Gläubige kann seinen Glauben ausleben wie er will, er lebt frei. Aber, wir haben beides, wir haben Kopftuchträgerinnen und wir haben Nicht-Kopftuchträgerinnen, sogar in Leiterpositionen, was uns auch sehr glücklich macht und die ihre Arbeit genauso gut mit und ohne Kopftuch machen und genauso respektiert und anerkannt sind und genauso viel Spaß mit uns haben. Und so soll es auch bleiben.
Ihr als Verband positioniert euch nicht, oder wie kann man das verstehen?
Doch, in der Spiritualität natürlich. Sex vor der Ehe ist natürlich eine Sünde. Wie viele andere Sachen auch. Aber da ist jeder selbstbestimmt und das ist eine Selbstfindung, die man hat, oder auch eine Reflektion, wo man einfach guckt, wie weit kann ich das mit meiner Religion und mit meinem Glauben vereinbaren. Und es ist ja eine Entwicklungsphase, die so ein Kind und ein Jugendlicher mitmacht. Das kann man nicht beeinflussen.
Wir waren bei der Kultur. Ihr trefft andere muslimische Pfadfinder aus anderen Ländern?
Ja. Wir wurden eingeladen bei der Flamme Européenne, eine Initiative von den französischen Pfadfindern aus, die dann schon vorher eine Tour gemacht haben über Italien rüber in die Nordafrikanischen Staaten Lybien, Syrien, rüber nach Algerien, in Marokko und da die Pfadfinder getroffen haben. Ein Jahr später haben die Franzosen uns natürlich wieder zu sich eingeladen, auf das erste europäische muslimische Lager. Das war ein sehr schönes Lager. Da waren auch sehr viele Pfadfinder aus verschiedenen muslimischen Ländern dabei, die wir vorher besucht haben. Das hat sehr viel Spaß gemacht.
Ihr seid Pfadfinder in Deutschland, ihr seid zum Großteil mit irgendeinem Migrationshintergrund. Wie kommt diese Idee ‚Pfadfinder‘ zu euch? Gab es das auch da, wo eure Eltern, eure Großeltern herkommen?
Ja, das gibt es. Komischerweise ist das bei der muslimischen Community in den Herkunftsländern, wo sie herkommen, viel verbreiteter und viel bekannter als hier in Deutschland. Das heißt, wenn du in die Türkei oder nach Marokko gehst und da mit jemandem auf der Straße sprichst und sagst: »Kennst du die Pfadfinder, weißt du was Pfadfinder sind?«, sagt der: »Natürlich. Ich kenne das, das ist lange Tradition bei uns«.
Leider ist es so, dass in Deutschland die Migranten hierhin gekommen sind, um zu arbeiten und sie in den ersten Jahren der Integration sich nicht richtig wohl gefühlt haben, aber sich vielleicht auch nicht richtig angepasst haben. Und das ist in Vergessenheit geraten. Aber die Pfadfindertradition hat in der muslimischen Welt eine ganz, ganz lange Tradition.
Das heißt, irgendwie seid ihr vorgeprägt. Also sei es, dass der Opa auch mal Pfadfinder war und gesagt hat: »Lass uns das doch auch mal so in Deutschland machen«.
Genau, von unseren Eltern. Und diese Idee ist ja auch in Deutschland entstanden. Aber dadurch, dass man sich erst einmal in Deutschland zurechtgefunden hat, guckt man: Ach das gab‘s bei uns! Ich wusste das zum Beispiel nicht, weil ich hier in in Deutschland aufgewachsen bin. Ich wusste nicht, dass zum Beispiel Pfadfinderei in unseren Ländern sehr viel verbreitet ist. Es gibt auch ein paar Kontakte nach Marokko. Wir versuchen diese Kontakte zu pflegen, weil man natürlich immer einen regen Austausch hat. Wie schon gesagt, die Pfadfinderarbeit ist universal. Baden Powell hatte nicht gesagt, ich schicke das jetzt nach Europa oder ich schicke das jetzt nach Asien, sondern das ist ein Programm oder das ist eine Jugendbewegung und es heißt ja Weltjugendbewegung im Endeffekt. Da gehört Afrika dazu, genauso wie Asien und Australien und alle anderen.
Mitreden!