Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich das hier schreibe, hat sich der erste Ausfall unseres Fahrtenlebens gerade gejährt. Zumindest im Bezug auf die Aktionen meines Rings.
Dieses erste Opfer, unser »Powerwochenende«, ist jedes Jahr eine Möglichkeit, in einer großen Bandbreite von Workshops stammesübergreifend neue Fähigkeiten zu lernen und Traditionen zu teilen. So wurden schon philosophische Debatten über den Bushido geführt oder Birkenpech gekocht, also all solche Dinge, die eher für ein kleines Publikum interessant sind und im Rahmen von Gemeinschaftsaktionen erfordern würden, dass man sich mit Interessierten abkapselt. Schließlich sollte nicht jedes Lager eine Workshopsammlung sein.
Doch diesmal gab es auf dieser Veranstaltung eine Innovation, eine echte Gemeinschaftsaktion über die Grenzen des Zusammenlebens in der Pandemie hinweg: Ein waschechtes Online-Geländespiel. Im Folgenden berichte ich ein wenig von der Aktion selbst und möchte euch einen Einblick in deren Planung und auch den Umgang mit dem Programm, das wir benutzt haben, geben. Die eindeutige Empfehlung kann ich jetzt schon aussprechen.
Das Spiel
Die Bewohner_innen des schönen kleinen Örtchens Düsterfeld hatten ein Problem: Der Polizist war spurlos verschwunden. Streng genommen litten sie auch alle an einer Amnesie und konnten sich nicht daran erinnern, dass sie vor Jahren schonmal die Sippen des gesamten Bundes zu Besuch hatten, aber das war eher nachrangig.
Bei Ersterem konnten die eintreffenden Sipplinge helfen und begannen sogleich ihre Ermittlungsarbeit. Jede_r im Dorf wurde befragt und während die Dorfgemeinschaft zu Beginn noch eingeschworen und verschlossen zu sein schien, begannen bald einige, bald das ganze Dorf, sobald sie mit Informationen unter Druck gesetzt wurden, sich gegenseitig zu beschuldigen. Die Informationsjagd enthüllte magische Experimente, denen die Sipplinge durch hundsgemeine umgekehrte Psychologie (»fasst das bloß nicht an!«) zum Opfer fielen, eine heimliche Affäre in höchsten Ämtern und Altersgruppen, sowie Missstände bei den Besucherzahlen der Gottesdienste, jedoch keinen Hinweis auf den Aufenthaltsort des Vermissten…
Währenddessen widmeten sich andere der direkten Suche. Die Umgebung des Dorfes umfasste tiefe Schluchten, ein gefährlich versumpftes Labyrinth und einen Wald, dessen verworrene Wege man nur als nicht-euklidisch bezeichnen konnte; der erste Schritt in den Wald versperrte einem schon den Rückweg. Doch genau zu diesen gefährlichen Orten führte die Spur. Nach endlosem Versinken im morastigen Boden und dem Bezwingen des trügerischen Waldes mithilfe einer Karte konnte jedoch ein Fortschritt erzielt werden. Mit dem Fund des vermissten Polizisten verschlimmerte die Lage sich: Von nun an musste offensichtlich ein_e Mörder_in gesucht werde. Der Polizist war tot…
Durch die Kombination der Ergebnisse aus der Suche in der Umgebung und der Befragung des Dorfes – sowie die Hilfe einer Totenbeschwörung – konnte letztendlich der örtliche Jäger als Täter ausgemacht werden. Nach einer wilden Verfolgungsjagd folgte schlussendlich die Verurteilung und die Inhaftierung des Mörders. Außerdem machte sich eine gewisse Verzückung aufgrund der Tatsache breit, dass das Gefängnis wirklich funktionierte, worauf natürlich bald eine Überpopulation mit überraschend enthusiastischen, freiwilligen Häftlingen folgte.
Die Planung und das Programm
So weit, so standardmäßig. Alles, was ich bisher beschrieben habe, haben die meisten von euch wahrscheinlich schon in verschiedenen Variationen auf einigen Lagern mitbekommen oder selbst erlebt. Jedoch fand all das diesmal nun mal online statt. Mithilfe eines Videokonferenztools – ja, ich weiß, davon haben wir inzwischen schon ein paar mehr – namens gather.town konnten wir innerhalb einer Woche alles, was ich beschrieben habe, selbst bauen. In gather.town spricht man nur mit denjenigen, die in der Nähe der eigenen Figur stehen, die man in einer Spielwelt bewegen kann. Hier haben wir zum ersten Mal ausprobiert, wie sich diese Funktion bei der fast 1:1 -Übertragung unserer Plan- und Geländespiele ins Digitale schlägt.
Die Antwort: Überraschend gut. Sobald wir uns mit der Funktionalität ein wenig auseinandergesetzt hatten, konnten wir im Grunde planen, als würde unser Spiel in Präsenz stattfinden; eingegrenzt von der fehlenden Option, Gegenstände zu bewegen oder zu sammeln. Deswegen fiel unsere Wahl auch auf eine Ermittlungsgeschichte. Hier sind schließlich Informationen die Währung. Und was Informationen betrifft, bietet gather.town als Konferenzapp nun wirklich einige Funktionen zur Vermittlung; Notizen, Bilder und Dateien können theoretisch überall in der Welt platziert werden.
Apropos Welt: Wer sich ein wenig eingeschüchtert fühlen sollte von der Präsentation der Spielwelt, kann beruhigt sein. Im Grunde bewegt man sich in jedem Bereich der Welt einfach über ein Bild, auf dem man im Planungsprogramm wie auf Kästchenpapier unsichtbare Grenzen gezogen und Übergänge in andere Räume gesetzt hat. Im Grunde könnte man das Ganze auch auf Kästchenpapier planen. Selbst wenn am Ende die Kästchengrenzen nicht exakt den Gegenständen in der Welt entsprechen, fällt das wirklich nicht besonders auf.
Man kann jedes beliebige Bild verwenden; ihr könntet auch in den Gesichtern eurer Freund_innen herumlaufen, wenn ihr das unbedingt wolltet (Vielleicht legt ihr ja ins Nasenloch den Eingang zu einer Tropfsteinhöhle), oder, wenn euch das Digitale nicht so liegt, in einem selbst gezeichneten Bild. Solange die Auflösung stimmt, nimmt gather.town alles an (1 Kästchen = 32×32 Pixel, ehrlich gesagt haben wir selbst darauf so gut wie gar nicht geachtet).
Wir haben uns zum Beispiel einfach Bodenpläne für Pen&Paper-Rollenspiele im Internet heruntergeladen; anstandshalber sind natürlich alle Signaturen noch enthalten, also könntet ihr unsere Spuren auch für eure Inspiration verfolgen. Alles in allem war der Großteil der Spielwelt innerhalb von fünf Nachmittagen abgeschlossen.
Ein besonderes Alleinstellungsmerkmal für die digitale Aktion waren die Umgebungsrätsel. Gather.town verwendet fünf Arten von Feldern: Leere Felder, Barrieren, die definieren, wo man nicht durch kann, Broadcast-Felder, von denen aus jede_r einen hören kann, Privaträume, in denen man nur mit den im Raum Anwesenden spricht, und Portale, die einen woanders hin teleportieren. Letztere kann man auch dafür verwenden, Spieler_innen immer wieder an den Anfang eines Labyrinths zurückzuversetzen, wenn sie eine unsichtbare Wand berühren, oder für einen Wald, in dem der Weg, auf dem man gekommen ist, auf einmal woanders hin führt…
Ich bin sicher, dass wir im Bezug auf das Experimentieren mit diesen simplen Funktionen noch lange nicht alles ausprobiert haben…
Ein großer Vorteil bei der Planung war auch, dass wir einen Testlauf mit all unseren Posten durchführen konnten, sodass die resultierende Aktion bei vergleichbarer Komplexität glatter lief als vieles, was wir schon in der Realität durchgeführt hatten. Wer weiß… vielleicht, kann man ja in Zukunft digitale Testläufe in normale Planungsprozesse einbauen?
Fazit
Wer weiß, wie lange es noch relevant ist, aber unter Corona-Bedingungen waren wir von Gather begeistert. Es ist sicher kein Ersatz für andere Konferenztools – wir haben auch während des gesamten restlichen Wochenendes mit Zoom gearbeitet – aber wir kennen noch nichts Vergleichbares, mit dem man so einfach und intuitiv räumliche Bezüge vermitteln und eine Spielwelt bauen kann. Und dafür lohnt es sich, das Programm einmal in Betracht zu ziehen, wenn man trotz Corona mal ein selbst geplantes Spiel auf die Beine stellen möchte.
Wenn ihr wollt, schaut gerne in der Spielwelt vorbei auf: https://gather.town/app/AglB0KLw5gUQ4OMz/poWoSpiel
Mitreden!