Heute müssen alle am besten gleich nach dem Abi ins Ausland düsen, Praktika machen, einen Studienplatz finden und nebenher noch jobben. In den Stämmen muss sich der Nachwuchs deshalb oft zwischen Job bzw. Studium und Stamm entscheiden: »Bleibe ich für den Stamm? Gehe ich zum Studium weg? Gibt es einen Kompromiss?« Das sind die Fragen, die sich viele stellen. Du bist nicht allein!
Wie sich die Anforderungen an die »Jugend von heute« auf unser Leben als Pfadfinder und vielleicht auch auf unsere Stämme auswirken können, erzählen drei Führer aus verschiedenen Winkeln Deutschlands im Interview mit dem haddak. Alle drei mussten sich entscheiden, ob sie weggehen oder bleiben.
haddak: Wie habt ihr euch entschieden? Was waren eure Gründe?
Vollkorn: Ich hatte mich ursprünglich an Schauspielschulen beworben. Dafür hätte ich dann schweren Herzens auch die Pfadfinderei (zumindest in meinem Stamm) aufgegeben. Zu dem Zeitpunkt hätte das wahrscheinlich das Ende unseres Stammes bedeutet. Dadurch, dass das aber nix geworden ist, habe ich mir dann einen Studienplatz gesucht, der in relativer Reichweite von Ratzeburg ist, um weiter dabei sein und den Stamm weiter betreuen zu können.
Vera: Ich war ein Jahr im Ausland und ziehe jetzt außerdem fürs Studium weit weg. Der Stamm wäre für mich der einzige Grund gewesen, nicht ins Ausland oder jetzt nach Berlin zu gehen. Ich war mir dann recht schnell sicher, dass ich mein Leben leben muss und keine Schuldgefühle haben sollte, ich würde mich vor der Verantwortung drücken, die sonst im Stamm auf mich zugekommen wäre. Ein Aspekt, der mir die Entscheidung erleichtert hat, war, dass unsere Führerrunde zu dem Zeitpunkt doch recht groß war und immer noch ist . Es war mir sehr wichtig, dass im Stamm jemand während meines Auslandsjahres meine Sippe betreut. Und jetzt sind sie alt genug, eigene Aufgaben zu übernehmen. Ich kann sie also guten Gewissens zurücklassen.
Nancy: Naja, ich habe mich für den näheren Studienort entschieden. Ich wollte halt im Stamm weitermachen und meine Fächer kann man auch in Erlangen studieren – ohne Qualitätsverlust.
haddak: Stehen in eurem Stamm heute viele Führer vor einer solchen Entscheidung? Nancy: Ja.
Vera: Das Thema Ausland ist für sehr viele Führer aktuell, zum Studium bleiben jedoch die meisten in der Nähe.
Vollkorn: Bei mindestens zweien steht diese Entscheidung in den nächsten zwei bis drei Jahren an. Wie sie sich entscheiden, kann ich beim besten Willen nicht einschätzen. Aus Sicht des Stammesführers sage ich natürlich »Sucht euch irgendwas hier in der Nähe, wir brauchen euch!« Aus Sicht des Freundes sage ich »Wenn Du eine Chance hast, dann nutze sie – (fast) egal wo.«
haddak: Glaubt ihr, dass die jungen Führer heute anders entscheiden als noch vor einigen Jahren?
Vera: In unserem Stamm gibt es Phasen, in denen die Leute mehr oder weniger weggehen. Aber vor allem ist es heute einfacher, einen Auslandsaufenthalt zu machen. Nancy: Das – hat glaube ich – nicht viel mit dem Zeitraum zu tun. Bei uns gibt es leider nicht so viele Ältere, deswegen ist vielleicht eine größere Verantwortung da. Die macht die Entscheidung schwieriger, als wenn ich weiß: Da kann jemand meine Aufgaben übernehmen. Allerdings muss man sich diese Verantwortung bewusst machen.
Die Welt ist einfach größer geworden.
Vollkorn: Auch, wenn das jetzt vielleicht etwas abgehoben klingen mag – die Welt ist einfach größer geworden. Früher war es nicht so das Problem, irgendwo in einem benachbarten Ort eine Stelle zu finden und dann nebenbei noch seine Hobbies zu verfolgen. Das ist heute schon etwas schwieriger. Das ist aber eine Entscheidung, die jeder für sich treffen muss. Es ist nicht jeder bereit, zwei Stunden zum Heimabend zu fahren – es ist aber auch nicht jeder bereit, zwei Stunden zu seinem Arbeitsplatz zu fahren. Letzten Endes ist das eine Entwicklung, der wir uns stellen müssen, die aber auch Chancen birgt. Ich glaube, es gibt heute Menschen, die so entscheiden würden wie die meisten das schon vor fünf oder mehr Jahren getan haben, und umgekehrt.
haddak: Müsst ihr zwischen Heimabend und Vorlesung pendeln? Wie lange braucht ihr? Nancy: Jawohl. Das dauert dann (wenn alles klappt) 63 Minuten. Ich pendle zwei bis dreimal die Woche, manchmal öfter, wenn was ansteht. Da kommen dann vier bis fünf Stunden zusammen.
Vollkorn: Ich fahre einmal pro Woche zum Heim und gelegentlich außer der Reihe. Von der reinen Fahrzeit her dauert das ca. 80 min. Bin aber abhängig von öffentlichen Verkehrsmitteln, muss also etwa 2 Stunden einplanen – pro Strecke! Das macht dann mindestens vier Stunden pro Woche.
Vera: Wahrscheinlich nur alle paar Monate – von Berlin nach Bonn dauert es etwa sieben Stunden.
haddak: Welchen Wunsch oder Rat würdet ihr den Führern eures Stammes oder im Bund in dieser Situation mit auf den Weg geben?
Denk an die Zukunft, aber lass die Vergangenheit nicht außer Acht!
Nancy: Denk an die Zukunft, aber lass die Vergangenheit nicht außer Acht! Übersetzt: Ach komm, Englisch kannste auch in Erlangen studieren!
Vera: Sprecht im Stamm frühzeitig eure Pläne an, damit man in die Zukunft planen kann. Aus Rücksicht auf den Stamm sollte man meiner Meinung nach aber nicht seine Ideen aufgeben. Respekt all denjenigen, die trotzdem einen Kompromiss finden.
Vollkorn: Ich glaube nicht, dass es auch nur einen Stamm gibt, der lieb gewonnene und fähige Führer leichten Herzens gehen lässt. Aber zu wissen, dass man sich doch immer wieder mal sieht, macht es einem leichter. Und auch wenn es »nur« zwei Jahre Sippenführung waren – das ist wesentlich mehr persönlicher Einsatz, als die meisten Menschen je für Jugendarbeit aufbringen würden. »Pfadfinderei ist kein Hobby – Pfadfinderei ist eine Lebenseinstellung «. Man braucht nicht unbedingt ein Heim oder einen Heimabend, um Pfadfinder zu sein. Auch wenn wir Dich hier auf jeden Fall gut brauchen könnten – nutze Deine Chancen da, wo sie sich bieten, wer weiß, wann die nächste kommt. Behalte im Herzen, was Du seit Jahren hier lebst und bist – das bist Du und das ist gut so! Und wenn Dich das »Heim«weh plagt bist Du jederzeit herzlich willkommen!
Mitreden!