Es ist ein bisschen so, als betrete man die Filmkulisse eines Harry-Potter-Films, wenn man das Haus der Wissenschaftlich Katholischen Studentenverbindung (W.K.St.V) Unitas-Rhenania zu Bonn betritt. Sie selber sagen, man geht »aufs Haus«. Es ist ein eindrucksvoller Altbau aus den 1880er Jahren. Im Flur steht ein schönes altes Klavier, dessen Tastenklänge sich über eine alte Holztreppe drei Etagen hinauf in die Zimmer mit hohen Stuckdecken und alten Holztüren verteilen können. Vom Flur aus kann man direkt in den Garten durchgehen, der mir für innerstädtische Verhältnisse sehr groß erscheint. In der Gemeinschaftsküche wird jeden Montag nach dem Hausputz zusammen gekocht. Ein fester Termin, zu dem auch die Mitglieder eingeladen sind, die derzeit nicht auf dem Haus wohnen (z.B. auch Inaktive). Aber auch Freundinnen oder Freunde sind eingeladen, die gar nicht Mitglied der Verbindung sind. So kann man sich sicher sein, hier jeden Montag Verbindungsbrüder anzutreffen. Und so finde auch ich mich an diesem Montagabend in besagtem Garten wieder.
Ich bin hier durch Zufall hingeraten: Meine Cousine ist vor einigen Jahren einer Verbindung beigetreten. Bis zu diesem Zeitpunkt waren das für mich eher zwielichtige Vereine, die man besser meidet. Auch, dass es überhaupt möglich ist, als Frau beizutreten überraschte mich. Sie stellte den Kontakt für mich her, weil mich vor allem das Verhältnis der Studentenverbindungen zu ihren Älteren interessierte. Daraufhin lud mich die Verbindung sofort zum Abendessen ein. Der Grill wird angeheizt und Bier getrunken. Die Stimmung ist sehr herzlich. Ich fühle mich sofort willkommen.
Der Grill wird angeheizt und Bier getrunken.
Von Trinkzwang, rechter Gesinnung und studentischem Fechten ist oft die Rede, wenn man über Studentenverbindungen spricht. Hier und da begegnet einem schon mal ein Student, der ein Farbenband um die Schulter trägt. Sogar ein farbentragender Hund ist mir schon einmal über den Weg gelaufen. Meine Cousine hat auch so ein Band. Irgendwie mit einem Halstuch vergleichbar. Heute Abend lerne ich, dass die Farben repräsentativ für die jeweilige Verbindung sind und auch nicht jede Verbindung so etwas trägt. Die Unitas trägt beispielsweise nur einen sogenannten Zip
fel. Eine Art bunter Schlüsselanhänger an den immer mal wieder weitere bunte Bänder angehängt werden. So tauscht man mit Freunden oder bekommt neue Zipfel geschenkt. Auf der Rückseite wird dann eingraviert, von wem man ihn bekommen hat. Manchmal auch mit einer persönlichen Widmung. Das Rhenanen-Haus, auf dem ich mich heute befinde nimmt selbst keine Frauen auf. Aber innerhalb des katholischen Bundesverbandes gibt es auch Frauenverbindungen. Das Katholische ist auch für mich heute Abend deutlich spürbar. Bevor wir uns über die ersten Würstchen her machen, spricht einer der Studenten ein Gebet. Dann beginnen wir gemeinsam mit dem Essen.
Der ein oder andere ist über seinen Vater, Onkel oder Empfehlungen von Freunden in die Verbindung gekommen. Die meisten, mit denen ich heute Abend hier am Tisch sitze waren aber ursprünglich mal auf der Suche nach einem günstigen WG-Zimmer. Und das bekommt man hier für 160,- Euro im Monat. Ganz schön günstig für die zentrale Wohnlage im hippen Altbau. Möglich wird das durch den Trägerverein, der aus den älteren Inaktiven besteht und das Haus finanziert. Ein halbes Jahr lang kann man erst mal auf dem Haus wohnen, dann muss man sich entscheiden, ob man Mitglied der Verbindung werden möchte. Viele bleiben dabei. Es sei der starke Zusammenhalt, das Freundschaftliche, was das Haus zu einer Heimat macht. Die Älteren nehmen sich dabei den Jüngeren an und jeder hat seinen persönlichen Mentor, den »Leibbursch«. Dieser kümmert sich darum, dass der Neuzugang, der »Fuchs« als vollwertiges Mitglied in die Verbindung aufgenommen wird und setzt sich vor der Gemeinschaft für ihn ein. Während die Verbindungsbrüder mir von ihrem Alltag in der Verbindung berichten, ist immer wieder von Lebensbund die Rede. Auch, dass man später etwas zurückgeben wolle für die tolle Zeit, die man in der Verbindung verbracht hat. Es sei etwas, dem man sich lebenslang verbunden fühle. Und so tritt man nach dem erfolgreichen Studium nicht einfach wieder aus der Verbindung aus, sondern wird Mitglied im Altherrenverein. Dieser finanziert, wie bereits angedeutet, das Haus und Teile des Vereinslebens. Aber sie seien nicht bloß Geldgeber, erzählt man mir. Sie seien ein wichtiger Teil dieser Gemeinschaft und Ratgeber in schwierigen Lebenssituationen oder dem Übergang vom Studium zum Beruf. Sie haben ein Stimmrecht auf der Generalversammlung und entscheiden mit, wer auf dem Haus wohnen darf. Ihre Erfahrungen und Berichte aus ihrem Aktivenleben sind den Studenten wichtig und werden gern gehört. Es kommt nicht selten vor, dass spontan ein Alter Herr vor der Tür steht und 10kg Nudeln für die Gemeinschaft mitbringt. Wichtig sei dabei, dass jeder Bundesbruder immer herzlich willkommen ist. Die Haustüre stehe jedem offen und alle können sich jederzeit zu Hause fühlen. Mit Verbandszeitschriften und handgeschriebenen Einladungen zu Verbindungsveranstaltungen halten die Aktiven Kontakt zu ihren Alten Herren. Wie wichtig ihnen die Teilhabe der Älteren an ihren Veranstaltungen ist, wird mir klar, als sie mir die Geschichte von einem älteren Mitglied erzählen: Der schwer kranke und demente Bundesbruder wird zu den Veranstaltungen zu Hause abgeholt und mit vereinten Kräften ins Haus gebracht, damit der an der »Kneipe« teilnehmen kann, einer traditionellen Feier, auf der studentische Lieder gesungen und verbindungsrelevante Riten abgehalten werden.
Natürlich sprechen wir an diesem Abend auch über Klischees. 1912 wurde der Verein gegründet. Fechten hatte dort nie etwas verloren. Zur Gründerzeit gab es nur Theologen im Bonner Haus. Der Kampf mit der Waffe, das studentische Fechten, hatte hier nie etwas verloren. Ganz im Gegenteil verbot der Papst es sogar zeitweise allen katholischen Verbindungen, die sich bis heute alle daran halten. Im Dritten Reich wurde der Verein dann zwangsaufgelöst. Sie verloren das Haus und brachten ihren Besitz in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vor den Nazis in Sicherheit. Nach den Kriegswirren erhielten die Rhenanen in den 60er Jahren ihr Haus zurück. »Hier ist niemand rechts oder antisemitisch«, versichert mir Matthias, der Senior der Verbindung. Jeder würde aufgenommen. Es sei nur eben eine christliche Verbindung. Das müsse schon jedem klar sein, der dabei sein möchte. Es gebe natürlich auch schwarze Schafe. Sie brächten leider die Studentenverbindungen in Deutschland ziemlich in Verruf. Von dieser Seite musste sich der Unitas-Verband auch viel Kritik anhören, als er vor 30 Jahren entschied, auch Frauen aufzunehmen.
Mittlerweile sind wir beim Nachtisch angelangt. Es wird Eis verteilt. Wie es eigentlich mit dem Trinkzwang aussieht, frage ich den Senior. Alle am Tisch lachen laut. »Bei uns gibt es höchstens Eiszwang«, antwortet mir Matthias.
Mitreden!