Seit nun schon 40 Jahren engagieren sich Hamburger Studierende ehrenamtlich in der TelefonSeelsorge von Studierenden für junge Menschen der Evangelischen Studierendengemeinde Hamburg (StuTs). Einer von ihnen ist Martin (Name geändert), 27 Jahre alt und Jurastudent.
haddak: Martin, Deine Schicht in der TelefonSeelsorge dauert in der Regel 4 Stunden. Sind das nicht auch für Dich manchmal belastende Stunden?
Martin: Der Dienstplan steht für jeden Monat im Voraus fest. Ich bereite mich einige Stunden vor einem Dienst vor, indem ich mir überlege, was in der Woche bei mir so passiert ist, was mich vielleicht noch beschäftigt und was mich in diesem Moment gerade bewegt und an diesem Abend bei mir »oben auf liegt« . Das ist zum einen wichtig, da die eigenen Gefühle das eigentliche »Handwerkszeug« sind, mit denen ich in der Seelsorge arbeite. Ich finde es zum anderen selbst immer wieder eine interessante Erfahrung. Wann fragt man sich im normalen Uni- und Alltagsstress schon mal selbst, wie es einem geht und wo man selbst gerade mit den Gefühlen ist? Es kann dann interessant sein, dem Grund für diese Gefühle nachzugehen und sich für die Arbeit am Telefon dieser Emotionen bewusst zu sein. Je nach Zusammensetzung sind die Abende sehr unterschiedlich. Das geht von tiefgründig-spannend bis lustig-entspannt. Es macht immer wieder Spaß die verschiedenen Leute näher kennenzulernen. Da wir durchaus mit sehr belastenden Themen konfrontiert werden, ist es wichtig, sich absolut aufeinander verlassen zu können.
Was ist denn eigentlich die Aufgabe oder das Ziel von Telefonseelsorge?
Die Seelsorge verfolgt da selbst kein bestimmtes Ziel und hat beispielsweise nicht den Anspruch, dass der Anrufende sich danach besser fühlt, oder dass ich als Telefonseelsorger mich gut fühle. Der Zweck ist vielmehr, in diesem bestimmten Rahmen am Telefon präsent zu sein und sich selbst als Resonanzfläche anzubieten. Das heißt für diese Zeit des Telefonats bin ich einfach nur da, stelle Fragen und spiegele dieser Person ehrlich wider, was bei mir an Gefühlen ankommt. Oftmals braucht der Anrufende einfach nur einen Gesprächspartner. Jemanden, der vorurteilsfrei zuhören kann.
Die eigenen Gefühle sind das Handwerkszeug.
Aus welchen Gründen rufen die Studierenden bei Euch an?
Die Gründe für Anrufer, sich an unsere Einrichtung zu wenden, sind so vielfältig wie das Leben selbst. Manche rufen wegen Beziehungsproblemen an, andere wegen Stress und Überforderung und manchmal ist der Grund des Anrufs auch ganz diffus und nur schwer herauszufinden. Aus meinen Erlebnissen als Telefonseelsorger würde ich aber sagen, dass man zwischen dem eigentlichen Grund, der am Telefon als Sachebene genannt wird, und ganz vielen Problemen, die zwar nicht ausgesprochen werden aber dennoch im Gespräch eine Rolle spielen, unterscheiden muss. Ich muss da immer an einen Vergleich des Autors Hemingway denken. Der hat seine Literatur immer mit einem Eisberg verglichen. Nur 1/8 des Eisbergs ist über Wasser und für uns sichtbar. Der Rest des Eisbergs liegt für uns unsichtbar unter der Wasseroberfläche und doch gehört der Rest zum Eisberg dazu und macht den Großteil aus, auch wenn dieser Teil im Verborgenen liegt. Mit den Anrufern bei uns ist das ähnlich. Ich sehe meine Aufgabe als Seelsorger darin, diesen Teil im Verborgenen sichtbar zu machen, Worte dafür zu finden.
Wird das Sorgentelefon auch von anderen Anrufern genutzt?
Leider wird unser Angebot viel zu wenig von Studierenden und jungen Leuten angenommen. Viele der Anrufenden bei uns sind gar keine Studierenden, werden von uns aber natürlich nicht abgewiesen. Dieses Phänomen ist auch bei uns immer wieder Thema und sehr vielschichtig. Zum einen versuchen wir immer wieder, auf uns und unser Angebot bei den Studierenden aufmerksam zu machen. So verteilen wir Flyer und Aufkleber auf dem Campus, werben in Vorlesungen oder verteilen Flyer in Erstsemestertüten und bei den Fachschaften. Ein anderer Punkt ist, dass dennoch die Hemmschwelle bei vielen Studierenden sehr groß ist, sich an uns zu wenden. In persönlichen Gesprächen habe ich oft den Eindruck, die Kommilitonen halten ihr Problem für zu klein oder befürchten aufgrund der kirchlichen Trägerschaft von uns missioniert zu werden. Da heißt es dann viel »Aufklärungsarbeit« leisten. Vielleicht trägt dieses Interview auch ein Stück dazu bei. Für uns ist kein Anliegen zu klein oder zu unwichtig. Sei es auch nur, dass man mal eine neutrale Person braucht, um beispielsweise Uni- oder Beziehungsstress los zu werden. Wir leben in einer beschleunigten Zeit, in der der Leistungs- und Konkurrenzdruck an den Universitäten sich immer mehr verdichtet, da kann es gut tun, sich bei einer Einrichtung wie der unseren Luft zu machen.
Zum anderen sehe ich aber auch, wie viel Überwindung es kostet, sich an uns zu wenden. Zum Beginn unserer Ausbildung wurden wir gefragt, was bei uns passieren müsste, dass wir uns an ein Angebot wie das der Telefonseelsorge wenden. Die Hürden, die wir alle im Kopf hatten, waren ziemlich hoch. Es ist schon paradox, dass wir – die wir uns dort engagieren und das Angebot folglich für gut und wichtig halten – selbst so große Schranken im Kopf haben. Das zeigt, wie schwierig es heute gesellschaftlich ist, Hilfe in Form dieses Angebots anzunehmen.
Du hast es schon angesprochen: Ihr habt eine Ausbildung gemacht und wurdet nicht einfach ins kalte Wasser geworfen?
Zu der Arbeit in der StuTs gehört eine intensive Ausbildung, die über zwei Semester geht und die man durchläuft, bevor man das erste Mal selbst telefoniert. Die Ausbildung verteilt sich auf drei Wochenstunden während der Vorlesungszeit. Niemand, der bei uns anfängt, muss Angst haben, ins kalte Wasser geschmissen zu werden. Vielmehr erhält man eine fundierte Ausbildung, die von Psychologen und Psychoanalytikern geführt wird.
Kann man sich Eure Arbeit in etwa so vorstellen wie bei Jürgen Domian auf WDR?
(lacht) Nein, damit haben wir wirklich nicht viel gemein. Ich kenne die Sendung und sie ist durchaus unterhaltsam, aber mit Seelsorge hat das nach meiner Auffassung nichts zu tun. Da steht die Unterhaltung des Zuschauers doch klar im Vordergrund. Ein wesentlicher Unterschied ist, dass wir uns als Seelsorger mit Meinungen, Ratschlägen und Werturteilen zurücknehmen. Der Fokus liegt auf dem Anrufenden und dieser bestimmt insoweit das Thema des Telefonats.
Von einem Studierenden der Psychologie würde man direkt vermuten, dass man sich berufen fühlt, Menschen auch am Telefon zuzuhören. Was brachte Dich als Jurastudenten auf die Idee, den Anrufenden Dein Gehör zu schenken?
Ja, das ist richtig. Wir haben zwar Studierende aus allen Fachrichtungen, aber der Großteil der StuTsler ist doch aus dem Bereich der Psychologie oder Theologie. Ich als angehender Jurist bin da der absolute Exot, was ich aber eher als Bereicherung empfinde. Ich habe mich gezielt auf eine Mitarbeit in der Einrichtung beworben. Ich empfinde das Studium als hochinteressant und spannend, aber dennoch ist es rein theoretisch. Gerade im Beruf als Jurist ist man praktisch nur mit konfliktbehafteten Situationen konfrontiert. Im Studium kommt man mit solchen Situationen aber gar nicht in Kontakt. Stattdessen bekommt man fertige Fälle, wo jedes Detail schon geklärt ist, und man sich nur noch mit den juristischen Fragen beschäftigt. Ich empfinde das als sehr lebensfremd und erhoffte mir bei der Telefonseelsorge einen Ausgleich hierzu und auch eine persönliche Weiterentwicklung. Gerade die Fähigkeit des Zuhörens, das Einordnen und Strukturieren der Informationen, die man erhält und die Fähigkeit auch Dinge zu hören und wahrzunehmen, die zwar nicht ausgesprochen werden, aber dennoch im Raum stehen, sind Qualifikationen die einen guten Juristen aus meiner Sicht ausmachen und die ich auch in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit weiterentwickeln kann. In unserer Ausbildung liegt ein starker Fokus darauf, sich in der Rolle des Seelsorgers zu professionalisieren. Abgrenzung spielt dabei eine wichtige Rolle. Ich glaube, dass das, was ich dort mitnehme, mir auch helfen wird, mich in meiner späteren Rolle als Jurist gut zu professionalisieren. Ein wichtiges Thema bei der Seelsorge ist, sich selbst zurückzunehmen und die eigenen Gefühle, Erfahrungen und Gedanken, die man beim Zuhören empfindet, nicht mit denen des Anrufers gleichzusetzen. Das spielt auch in der praktischen Tätigkeit als Jurist eine wichtige Rolle. Wenn ich beispielsweise als Richter über eine Sache urteile, muss ich meine eigenen Vorstellungen und Werturteile beiseite schieben und mich an Recht und Gesetz orientieren. Dennoch sollte man immer Gewahr bleiben, dass diese eigenen Wertvorstellungen doch immer in die eigene Beurteilung hineinfließen. Die eigene Biografie beeinflusst auch das Bild, das ich mir von einer Person mache. Wenn ich nicht immer wieder versuche diese Vorstellungen, die ich mir von einer Person mache, zu hinterfragen und mich auf das einzulassen, was gerade tatsächlich passiert, laufe ich Gefahr, parteiisch zu werden. Das Thema des Hinterfragens hat auch in der Seelsorge einen wichtigen Platz.
Ein wichtiges Thema bei der Seelsorge ist, sich selbst zurückzunehmen und die eigenen Gefühle, Erfahrungen und Gedanken, die man beim Zuhören empfindet, nicht mit denen des Anrufers gleichzusetzen.
Was wisst ihr über die Anrufenden? Erfahren Sie etwas über euch Seelsorger oder euch als Person?
Die Gespräche sind grundsätzlich völlig anonym. Wir wissen nicht, wer uns anruft und woher. Das hilft den Anrufenden, sich zu öffnen und uns, Abstand zu wahren. Unsere Verbindung endet sofort nach dem Telefonat.
Mit welchen Gefühlen gehst Du abends nach Hause?
Ich kann nach meinen Diensten sehr gut abschalten. Wie die meisten Telefonseelsorgenden habe ich sowohl während als auch nach dem Dienst feste Rituale. So hilft es mir oft, auf dem Weg mit der S-Bahn nach Hause schon einige Stationen früher auszusteigen und noch ein Stück zu Fuß zu gehen. Meist höre ich dabei Musik und mir gehen noch ein paar Erlebnisse des Abends durch den Kopf. Sobald ich dann die Haustür aufschließe, bin ich dann aus meiner Rolle als Telefonseelsorger raus. Ich hatte es auch an schwierigen Abenden zum Glück noch nie, dass mich Dinge privat nicht mehr losgelassen haben.
Kannst Du Dich noch an Dein erstes Gespräch erinnern?
An mein erstes eigenes Gespräch kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich empfand es als ein sehr angenehmes und »gutes« Gespräch, obwohl es solche Kategorien wie »gut« und »schlecht« , »richtig« und »falsch« in der Seelsorge eigentlich nicht gibt. Es ging um ein Beziehungsproblem im weiteren Sinne. Ich hatte selbst den Eindruck, das Problem der Anruferin gut erfassen und dabei Widersprüchlichkeiten gut herauszuarbeiten und widerspiegeln zu können.
Und fällt es dir immer so leicht ins Gespräch zu kommen?
Es gelingt leider nicht immer so gut in Kontakt mit den Anrufenden zu kommen, wie es mir in diesem ersten Gespräch gelungen ist. Dies kann unterschiedlichste Gründe haben. Manchmal liegt es auch daran, dass man gerade zu Beginn als Telefonseelsorger selbst Bedenken hat, bestimmte Dinge anzusprechen, weil man sie für zu konfrontativ hält oder die Person nicht vor den Kopf stoßen möchte. Da nehme ich mir oft vor, selber mutiger zu werden und mich zu fragen, was denn schlimmstenfalls passieren kann. Meine Ausbilderin hat als erfahrene Seelsorgerin mal den Satz gesagt, Seelsorge heiße für sie Hinschauen und eben nicht Wegschauen. Und ich denke, das ist in einem kurzen Satz auch der Kern von Seelsorge. Das versuche ich mir bei meiner Arbeit am Telefon auch immer wieder bewusst zu machen. Das bedeutet aber auch viel Übung und sich selbst auszuprobieren. Und dieses Üben hört, glaube ich, als Seelsorger auch nie auf. Ggf. schafft man es, beim Anrufenden etwas auszulösen: einen neuen Gedanken, etwas, was in der Person arbeitet. Das ist aus meiner Sicht die Chance der Seelsorge.
Inwiefern bereichert die Arbeit dein Leben?
Ich finde dieses Ehrenamt eine unglaublich bereichernde Tätigkeit. Allein die Ausbildung bietet viele Möglichkeiten, sich selbst besser kennen- und verstehen zu lernen. Zu Beginn der Ausbildung hatte ich Bedenken, ob ich mich im erforderlichen Maße selber öffnen kann und empfand bestimmte Übungen eher als befremdlich. Diese Ängste und Bedenken haben sich aber als unbegründet erwiesen. Wir sind in unserer Ausbildungsgruppe Menschen mit ganz verschiedenen Lebensläufen und Erfahrungen, mit völlig unterschiedlicher Sozialisation und Wertvorstellungen. Personen, wie sie verschiedener nicht sein können. Da ist es eine stärkende Erfahrung, dennoch Parallelen zu erkennen und zu sehen, dass alle mit Problemen und Krisen zu kämpfen haben und das eine zutiefst menschliche Erfahrung ist.
Studentische TelefonseelsorgeWeb: www.esg-hamburg.de/studentischetelefonseelsorge/ Telefon: (040) 411 70 411 Täglich von 20:00 bis 24:00 Uhr Von Studierenden für junge Menschen Bei Studienfrust oder Kummer, wenn man jemanden zum Reden braucht. Für anonyme Unterstützung und ein offenes Ohr. |
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