Die Pfadfinderei ist in erster Linie eine Methode, durch die Kinder und Jugendliche zu Selbständigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Kameradschaftlichkeit erzogen werden sollen. Dieses Ziel erreichen wir vor allem dadurch, dass wir Kindern und Jugendlichen etwas zutrauen, ihnen Verantwortung übertragen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Fähigkeiten zu entdecken und ihre Grenzen zu erkunden. Das kann allerdings nur dann geschehen, wenn wir als Ältere – sei es als Sippen-, Stammes-, Ring- oder Bundesführer – bereit sind, den entsprechenden Freiraum zu geben. In letzter Konsequenz heißt »Freiraum geben« auch, dass wir Ältere uns irgendwann vollständig zurückziehen und die Verantwortung für Stamm, Ring und Bund den Jüngeren überlassen. Das ist auch deshalb notwendig, damit unser Bund weiterhin möglichst nah an der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen dran ist: Auf alte Fragen wollen neue Antworten gefunden werden. Letzte Wahrheiten, die man aus Erfahrung gewonnen zu haben meint, gibt es nicht. Aber was spricht dagegen, wenn Ältere außerhalb der aktiven Stammes- und Bundesgestaltung zwanglos auf Fahrten gehen oder sich treffen? Auf den ersten Blick sicherlich nichts. Auf den zweiten wird man sich aber fragen, worum es dabei eigentlich geht. Denn es geht nicht mehr darum, Kindern und Jugendlichen was durch die Pfadfinderei mitzugeben, sondern alte Freunde wieder zu treffen. Das ist natürlich nicht verwerflich, aber diese besseren »Klassentreffen« gleich »Lebensbund« zu nennen, ist dann doch schon sehr weit hergeholt. Denn im Mittelpunkt steht dabei eher der nostalgisch verklärte Rückblick. Und wirkliche Freundschaften pflegt man sicherlich auch außerhalb der Pfadfinder. Der »Lebensbund« ist deshalb nur eine Illusion, die den Blick auf die wesentliche Tatsache verstellt, dass ich eines Tages Abschied von den Pfadfindern nehmen muss. Nicht für den Bund oder Stamm, sondern um meiner selbst willen. Jeder meiner Lebensabschnitte hat einen Anfang – und auch ein Ende. Heinrich Heine hat es in seinem oft zitierten Gedicht »Stufen« treffend beschrieben: »Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen«. Denn das Ende ist für uns gleichzeitig auch ein Neuanfang, den wir aber nur sehen und gestalten können, wenn wir nicht ständig zurückblicken. Sicher, unser Leben besteht nicht nur aus Brüchen, sondern auch aus Kontinuitäten. Zu letzteren gehört die Pfadfinderei aber »nur« als Lebenseinstellung, die wir nach dem »Quittieren des Dienstes« woanders einzubringen aufgefordert sind. Schlussendlich bringt es das »Trinklied vorm Abgang« in seiner letzten Zeile gut auf den Punkt: »Die Menschen werden freier sein, wenn wir gegangen sind« – auch wir selbst.
Gehen!
Unser Bund ist kein Lebensbund
Ein Artikel aus dem haddak 2/2009 aus der Rubrik Standpunkt. Du brauchst etwa 2 Minuten, um den Artikel zu lesen. Nimm dir die Zeit!
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