Meine Nase ist eiskalt. Sie läuft. Genau wie ich durch den schneebedeckten Wald. Meine Gruppe läuft ungefähr 30 Meter hinter mir. Ich laufe bewusst etwas weiter vorne, um ein wenig nachzudenken.
Heute ist Samstag. Der zweite Tag unserer Tour. Die Nacht war zwar erträglich, trotzdem aber eine Härteprobe. Ich wusste, dass es kalt werden würde, deswegen habe ich Skiunterwäsche angezogen und zwei Paar Socken getragen. Meinen Schlafsack habe ich mir geliehen, da ich selbst keinen Winterschlafsack habe. Trotz all dieser Maßnahmen waren meine Füsse in der Nacht kalt wie Sau und ich habe mich nicht getraut, meine Beine auszustrecken, da das untere Ende des Schlafsacks so verdammt kalt war. Trotz der Dunkelheit und des 30 cm hohen Neuschnees hatten wir es am Vorabend geschafft, unsere Hütte zu finden. Über eine Stunde waren wir orientierungslos, gelangten dann aber an eine markante Kreuzung, bei der wir uns querfeldein nur noch Richtung Süden durchschlagen mussten. Das warme Abendessen danach war mehr als befriedigend.
Ich komme an eine Kreuzung, gehe weiter geradeaus. Die Landschaft ist unglaublich. Alles ist weiß, der frische Neuschnee unter meinen Wanderschuhen knistert. Meine Wasserflaschen klirren. Ich habe vier Liter Wasser dabei und in beiden Flaschen schwimmen Eiskristalle. Das Wasser ist tatsächlich während des Laufens gefroren. Glücklicherweise spüre ich die Kälte nur im Gesicht.
Als ich meine Hose angezogen habe, wäre ich fast gestorben, trotz langer Thermounterhose!
Heute Morgen war das ganz anders. Als ich meine Hose angezogen habe, wäre ich fast gestorben, trotz langer Thermounterhose! Es ist mir immer noch ein Rätsel wie Moritz es ohne ausgehalten hat. Unsere Schuhe waren alle eingefroren. Man konnte die Schnürsenkel nur mit Geduld und ein wenig Gewalt lösen. Nach zehn Minuten waren die Schuhe angezogen. Es war die Hölle. Zum Glück sind wir noch jung und unsere Durchblutung löste die Vereisung nach einer halben Stunde.
Das Wandern im Schnee ist anstrengender und auch langsamer als sonst, aber die Landschaft macht alles wieder wett. Das Weiß ist komplett unberührt. Außer uns ist der Wald komplett verlassen und liegt in vollkommener Ruhe. Jeder hat Zeit, das ein oder andere Mal in sich zu kehren. Da wir erst um drei Uhr mittags aufgebrochen sind fängt es schon an zu dämmern. Die Pläne für den Abend sind schon gemacht. In einer Gaststätte sollen die gefrorenen Hosen auftauen und ein warmer Kakao getrunken werden. Allerdings werden wir an eben dieser Kaschemme nur ein großes Schild mit der Aufschrift »Zu Verkaufen« sehen. Es geht also weiter. Die Motivation geht gegen Null. Die Nerven liegen blank. Dann haben wir auch noch den falschen Weg eingeschlagen, sind nun kurz vor einem Nachbarort gelandet. Zum Glück. Eine komplett geschlossene Hütte mit gläsernen Fenstern erwartet uns am Wegesrand. Wir stellen unsere Sachen ab und laufen runter ins Kaff, um uns einen Kakao mit Schuss zu leisten. Die Nacht ist sternenklar. Die Temperatur sinkt gegen 15 °C unter Null. Wunderschön und eiskalt. In dieser Nacht gefrieren meine alten Socken neben der Isomatte, das Wasser in unseren Flaschen und das Kondenswasser, das sich an den Scheiben der Hütte gesammelt hat. Der Weg zum Bahnhof ist nicht mehr weit. Ich fahre mit einem lachenden und einem weinenden Auge ab. Die Strapazen sind vorbei, aber auch diese geile Tour mit meiner Roverrunde.Montagmorgen. Ich erzähle meinen Freunden in der Schule von der Tour und treffe nur auf Unverständnis. »Du bist doch verrückt!« Ja, vielleicht bin ich das. Aber ich finde genau wegen des gefrorenen Wassers, der Schuhe, der Hosen, der kalten Nase, der eiskalten Hände und Füsse in der Nacht, der harten Wanderung, des Sturzes auf dem Glatteis, der juckenden Haare unter der Mütze … trotz alledem bin ich froh, dabei gewesen zu sein. Wegen der Bilder und Eindrücke, der schönen Geschichten und der Selbstfindung in diesem weißen Wintermärchen.
Mitreden!