Sonntag, 10.30 Uhr, Enkhuizen, Neuer Hafen
Nach der obligatorischen Sicherheitseinweisung erklärt uns Karsten – unser Skipper vom Stamm Argonauten – wie die verschiedenen Seile, Schoten und Winden funktionieren. Was man tun muss und was man besser bleiben lassen sollte. Wir lernen das ganze Schiff kennen: die »Cygnus« ist eine richtige Segeljacht mit vier kleinen Kajüten mit mehreren Kojen und einer großen mit Küche, Sitzgruppe und Navigatortisch. Mit 14 Meter Länge und 1,80 Meter Tiefgang gehört die Cygnus zu den größeren Jachten auf dem IJsselmeer. Im ersten Augenblick erschien sie mir ein wenig luxuriös, mittlerweile finde ich sie aber ganz gemütlich. Neben dem Grundwissen gibt uns Karsten auch wertvolle Insidertipps eines erfahrenen Seglers: »Mit dem Niederholer könnt ihr die Neigung vom Baum einstellen, um mehr Twist im oberen Achterliek des Großsegels zu erreichen.« Aha.
Sonntag,14.30 Uhr, Lorenzschleuse
Vor uns dreht sich gerade die Autobahnbrücke zur Seite, links und rechts warten die Autos an roten Ampeln. Die A7 führt über den Abschlussdeich, der das IJsselmeer vom Wattenmeer trennt, das zwischen dem Festland und den Westfriesischen Inseln liegt. Nach kurzer Zeit haben wir unter Motor den Deich passiert und müssen schnell das Vorsegel setzen. Ich kurbele kräftig an der Winsch, um das eingerollte Vorsegel rauszuziehen. Schnell geht mir dabei die Puste aus, aber schließlich ist es geschafft: die Genua, das Vorsegel, bläht sich im Wind und wir nehmen Kurs auf das Hafenstädtchen Harlingen am niederländischen Festland.
Montag, 8.30 Uhr, Harlingen
Wir sitzen gemütlich beim Frühstück, unser Schiff liegt im Noorderhaven von Harlingen. Mitten in der Stadt. Rechts und links säumen kleine Backsteinhäuser den Kai. Die Morgensonne lässt die Fassaden golden erstrahlen. Plötzlich kommt Karsten die Stiege runter: »Die Brücke vorm Hafen macht in fünf Minuten kurz auf. Wir legen ab, okay?« Hektik bricht aus, aber innerhalb weniger Minuten sind wir tatsächlich aus dem Hafen draußen. Gut, dass das Schiff mit dem Bug zur Hafenausfahrt lag. Obwohl wir schon angelegt hatten, hat Karsten gestern Abend das Schiff noch mal gedreht. Ohne Motorkraft. Während wir die Heckleine gelöst hatten, blieb das Schiff am Bug an der Kaimauer festgemacht. Der Wind drehte dann – ohne einen Fetzen Segel – die »Cygnus« einmal um die Bugspitze. Uli achtete vorne mit einem runden Fender darauf, dass die Kaimauer dem Bug nicht zu nahe kam. Ein gekonntes seemännisches Manöver.
Dienstag, 11 Uhr, 53° 19′ 17″ N, 5° 04′ 43″ O
Ich hänge über der Reling und kotze. Vor einer Stunde haben wir das geschützte Wattenmeer verlassen und sind zwischen den Inseln Terschelling und Vlieland auf die offene Nordsee rausgesegelt. Wind aus Nordnordost, mit Windstärke 5 bis 6. Rund zwei Meter hohe Wellen lassen die »Cygnus « rollen und stampfen. Da ich mich rechtzeitig auf die windabgewandte Seite gesetzt habe, geht alles sauber über Bord. Karsten hatte uns ja am Abend vorher schon prophezeit, dass einigen von uns schlecht werden wird. Nun mache ich halt den Anfang, einige andere unserer neunköpfigen Crew werden noch folgen. Selbst unser Navigator David legt sich irgendwann hin. Nur Uli und Simon macht das alles nichts aus, sie springen auf dem Deck herum und setzen Segel, als gelte es eine Regatta zu gewinnen. Und Frank, der derzeit am Steuer steht, versucht jede Welle mitzunehmen – jedenfalls ist das mein Eindruck. Den Rest des Tages verbringe ich liegend in einer Ecke des Cockpits. Mit der Zeit wird das Wetter ein bisschen besser und ich kann zusehen, wie die Backstag vor den Wolken tanzt. Das Schiff schaukelt sowohl um seine Quer- als auch seine Längsachse. Ich mache mir Gedanken, wir effizient Segeln eigentlich ist.
Dienstag, 16 Uhr, Den Helder
Wir laufen in Den Helder ein – ein profaner Industriehafen, aber ein schöner Kontrast zu den sonst so beschaulichen, fast schon niedlichen Städtchen am Ijsselmeer. Große Kräne und Frachtschiffe sind zu sehen. Auch Kriegsschiffe, denn es gibt hier einen großen Marinestützpunkt. Im »Königlichen Marinejachtklub« finden wir schließlich einen Liegeplatz.
Mittwoch, 13 Uhr, 52° 39′ 12″ N, 4° 40′ 42″ O
Flaute. Wir dümpeln vor der niederländischen Westküste. Karsten hat vorhin den Motor abgeschaltet und wir versuchen es noch mal mit Segeln. Es bringt nichts. Aber wir nutzen die Gelegenheit für ein Bad in der Nordsee. David spannt achtern ein Seil, dann springen wir alle rein. Es ist arschkalt. 14 °C, wie unser Navigator von den Schiffsinstrumenten abliest. Und im Wasser verflüchtigt sich auch rasch der Eindruck, dass wir keine Fahrt machen. 1,5 Knoten sind eineMenge, wenn man dem Schiff hinterherschwimmen muss. Gott sei Dank können wir uns auch einfach ins Seil hängen. Nach ein paar Minuten klettern wir wieder raus. Die nächsten Stunden verbringen wir mit Chillen und Karten spielen an Deck. Außerdem begutachten wir unsere Schwimmwesten, die wir ständig tragen. Simon bläst seine gleich mal auf.
Mittwoch, 19 Uhr, Nordseekanal
Die Stavanger Eagle, ein riesiges Containerschiff aus Panama, wird vor uns gerade von zwei Schleppern in einen Hafen gezogen. Ich steuere die »Cygnus« mit ausreichendem Abstand backbords vorbei. Seit wir am Spätnachmittag in den Nordseekanal eingelaufen sind, steh ich am Steuer. Wir fahren an zahlreichen Überseehäfen vorbei, deren Lastkräne schwarz in den goldenen Abendhimmel ragen. Industrieromantik pur. Langsam wird es dunkel und vor uns tauchen die Lichter von Amsterdam auf. Das Steuern – an sich nicht schwer – wird immer kniffliger, weil es gilt, die Bojen und vor allem die kreuzenden Fähren von den zahlreichen Lichtern der niederländischen Metropole zu unterscheiden. Die Bebauung wird dichter. Mitten in der Stadt übernimmt Karsten wieder das Steuer, um in den kleinen Jachthafen einzulaufen. Er liegt direkt gegenüber dem Hauptbahnhof. Wahnsinn.
Donnerstag, 16 Uhr, 52° 33′ 05″ N, 5° 17′ 46″ O
Markermeer. Die Sonne scheint, der Wind kommt uns aus Norden entgegen. Wir müssen kreuzen. Uli steuert gerade und das mit sichtlichem Spaß. Einmal nimmt sie eine Welle so mit, dass wir alle im Cockpit nass werden. Das Schiff krängt jetzt sehr stark, so dass man unten in der Kajüte ohne Probleme schief stehen kann. An der Küste taucht backbords bald ein kleiner Ort auf: weiße Häuschen mit roten Ziegeldächern reihen sich geduckt aneinander – das beschauliche Holland hat uns wieder.
Donnerstag, 19 Uhr, Enkhuizen
Beim Glockenspiel der Zuiderkerk und der Westerkerk laufen wir in den alten Hafen von Enkhuizen ein, der mit herbstlichen Laubbäumen umsäumt ist. Am Kai sehen wir ein paar kleine Argonauten spielen. Ihr Stamm ist fast zeitgleich mit uns auf dem IJsselmeer unterwegs – allerdings in einem riesigen Dreimaster, den wir uns auch direkt mal anschauen. Die Stimmung an Bord ist gut, wenn auch die meisten jungen Argonauten auf Nachfrage bekannt geben, dass das Rumschippern mit einem so großen Kahn langweilig sei. Außer Segelsetzen könne man kaum was machen. Klar, auf ihren Sommerfahrten dürfen sie ja mit der Sippe ein Segelschiff steuern.
Freitag, 8 Uhr, Enkhuizen
»This is Netherland Coastguard with the forecast for Friday … « – die Stimme aus dem Funkgerät am Navigatortisch weckt mich auf. Der Wetterbericht kündigt Windstärke 5 bis 6 an, mit noch stärkeren Böen. Da möchte Karsten nicht mehr rausfahren. Also bleiben wir erstmal im Hafen. Im Herbst kann so was leicht passieren. Nachmittags schwächt der Wind ein wenig ab und Karsten entscheidet, dass wir doch noch nach Urk rübersegeln können. Diesmal steht er am Steuer, weil das IJsselmeer recht aufgewühlt ist. Frank erklärt mir das Navigieren mit der Karte und ich messe seinen eingezeichneten Kurs nach. Prompt entdecke ich einen Fehler: Frank hat sich um 5° vertan. Eieiei…
Samstag, 12.30 Uhr, Lemmer
Nach sieben Tagen und 235 Seemeilen sind wir wieder am Ausgangspunkt unserer Reise angelangt.
Mitreden!