Mit Reiseführer gerüstet ziehen wir durch die lauten und hastigen Straßen Kairos. Es ist ein hektisches Treiben von Autos, Mofas, Fahrrädern und Fußgängern. Obwohl alles drunter und drüber zu gehen scheint, fließt der Verkehr. Wir passieren Geschäfte, Teehäuser und kleine Basare. Schließlich müssen wir etliche Sicherheitskontrollen passieren, bevor wir ins Britische Museum gelangen. Hier drinnen ist nichts vom pulsierenden Kairo zu spüren. Der Lärm der Straße ist fort und die Leute um uns herum sprechen verständliche Sprachen. Menschen sitzen auf den Treppen vor dem Museum und betrachten ruhig die tausende Jahre alten Skulpturen. Sofort kommt man zur Ruhe und wir tauchen ab in das antike Ägypten.
Eine tiefe Männerstimme durchdringt die Nacht. Es ist der Muezzin.
Am Abend haben wir uns im Stadtzentrum mit Essam zum Essen verabredet. An der Schule teilen wir uns in Gruppen auf und jede bekommt von Essam ein Stück Papier mit dem Namen und der Adresse des Restaurants. Zudem einen ungefähren Fahrpreis. Auf geht’s. Die erste Truppe ist schon weg, als wir an der Hauptstraße ankommen. Ein kleines Auto unbekannter Marke mit bunt leuchtenden Lichtern, schrammiger Technomusik und Perlensitzpolstern hält an. Wir geben dem Taxifahrer den Zettel und feilschen über den Preis. Nach einigem Hin und Her gibt er uns mit einer Handbewegung zu verstehen, einzusteigen. Die Türen schließen und wir ahnen nicht, was folgen sollte: Er drückt das Gaspedal runter und lenkt scharf nach links zurück in den Verkehr. Fahrbahnlinien, sofern vorhanden, werden ignoriert. Rote Ampeln sowieso. Jede zweite Handbewegung ist der Druck auf die Hupe. Nach dem ersten Schock stellen wir fest, dass der Tacho ständig auf Null steht. Zudem besitzt der Wagen keine Außenspiegel. Trotz alledem lenkt der Taxifahrer den Wagen sicher durch den dichten Verkehr. Nach spektakulären fünfzehn Minuten gibt uns der Taxifahrer zu verstehen, dass wir angekommen sind und wir steigen aus. Wir befinden uns auf einer großen Einkaufsstraße, die durch Reklameschilder hell erleuchtet ist. Nur ein Restaurant sehen wir nicht. Da kommen plötzlich einige der anderen um die Ecke. Ihre Fahrt war nicht weniger spektakulär. Johannes musste während der Fahrt die Tür festhalten, da sie nicht richtig schloss. Wir lachen zusammen über die abenteuerlichen Fahrten und fragen uns zum Restaurant durch, wo der Rest schon wartet.
Nach einer nicht minder aufregenden Rückfahrt fallen wir erschöpft in unsere Betten. Doch werden wir in der Nacht jäh von einem lauten Rufen geweckt. Eine tiefe Männerstimme ertönt und durchdringt mit arabischen Worten die Nacht. Es ist der Muezzin, welcher zum Morgengebet ruft. Im Islam wird fünfmal täglich gebetet und der Muezzin ruft zur Erinnerung der Gläubigen an diese Pflicht. Überall in der Stadt finden sich neben den großen Moscheen an vielen Straßenecken kleinere, unscheinbarere. Dort liegen einige Teppiche und jeder kann hier beten. Wie jemand in Ruhe beten kann, während sich daneben hupende Autos durch die Straßen quetschen, bleibt für uns Europäer wohl ein Geheimnis. Nach einigen Minuten ist der Muezzin verstummt und nur noch der Lärm der Straße ist zu hören. Ich finde noch einige Stunden Schlaf bevor der Wecker ertönt. Langsam beginne ich mich an das Leben hier zu gewöhnen. Einfach alles ein wenig lockerer und es mit der Zeit nicht so genau nehmen. Du hast meistens eh keine Kontrolle darüber. Also nicht den schnellsten Weg zum Ziel suchen, sondern vielleicht einen kleinen Umweg machen und einen Tee in einem der unzähligen Läden trinken. Ich spüre, wie sich die Verspannung löst und ich anfange, die schönen Sachen zu entdecken, die zwischen all dem Hektischen verborgen liegen.
Mit drei Jeeps und Fahrern erkunden wir die Wüste. »Endlich unterwegs«, denke ich. Eine unglaubliche Weite. Felsen in allen Formen, vom Sand abgerundet. Dazu nachts ein Sternenhimmel, den man sonst selten zu sehen bekommt. Wenn die Motoren der Jeeps ausgegangen sind, kehrt eine sa- genhafte Ruhe ein. Kein Geräusch weit und breit. Kein Licht außer dem des Mondes. Und inmitten dieser lebensfeindlichen Umgebung liegen wir. Eingehüllt im warmen Schlafsack.
Die Wüste hat eine sagenhafte Ausstrahlung. Sonnenauf- und -untergänge bannen jeden Tag aufs Neue unseren Blick. Die Oasen bilden kleine Inseln in den Meeren von Sand und sind die einzigen Orte, wo Menschen in einfachen Häusern wohnen. Den Silvesterabend verbringen wir am Lagerfeuer in der weißen Wüste. Die weißen Felsen bestehen aus Kalkstein und nehmen zum Teil bizarre Formen an. In dieser Nacht sind die Lichter anderer Gruppen nicht weit. Jurek und ich machen uns auf, um ihnen einen Besuch abzustatten. Die erste Gruppe besteht aus Franzosen, welche schon auf dem Weg ins Bett sind und so ziehen wir weiter. Unweit ist ein weiteres Feuer. Dort sitzen nur drei Gestalten. Etwas unheimlich ist das schon, aber Jurek stürmt schon los. Es sind Beduinen.Sie sprechen Englisch und laden uns zu Pfefferminztee und Essen ein. So sitzen wir noch viele Stunden mit ihnen, erzählen von Deutschland und erfahren, dass sie eine Quadvermietung betreiben. Die Karte mit ihrer Nummer nehmen wir höflich an. Ihnen scheint es, laut ihrer Schilderungen, nicht schlecht zu gehen. Aber Beduinen, welche mit Hab und Gut durch die Wüste ziehen, sind sie nicht. Die gibt es nur noch sehr selten. Die meisten sind inzwischen sesshaft geworden und leben vom Tourismus. Ich finde das schade und fühle mich an Indianercamps in den USA erinnert. Später fahren sie uns mit den Quads zu unserem Lager zurück. Ein wenig Sorge, ob das alles gut läuft, hatte ich schon. Jurek schien da unbefangener und freier. Diese Leichtigkeit ermöglicht es, sich treiben zu lassen und zu erleben. Man kann das Abenteuer nicht erzwingen, aber man kann es verhindern. Unsere neuen Bekannten verabschieden sich freundlich und wir legen uns zu der restlichen Truppe.
Am Neujahrstag brechen wir wieder nach Kairo auf, wo wir ein längeres Treffen mit der Pfadfindergruppe haben. Sie zeigen uns Bilder von ihren Lagern und erzählen von ihrer Arbeit. Es wird schnell klar, dass es erhebliche Unterschiede gibt. Da in Ägypten alle Grünflächen in Städten sind, finden die Lager direkt neben Straßen und Häusern statt. Wandern ist auch nicht möglich, sodass das Tagesprogramm aus Sportübungen und Pfadfindertechnik besteht. Stolz berichten sie von der Stadtralley durch Kairo. Dabei gibt es auch ähnliche Probleme wie in Deutschland. Zum Beispiel mit überfürsorglichen Eltern. Der Austausch über die Arbeit ist anregend und wir nehmen viele Eindrücke mit nach Hause. Zum Abschluss lernen wir zusammen deutsche und arabische Lieder und fliegen am nächsten Tag zurück nach Deutschland.
Es waren aufregende Tage in Ägypten und wir haben eine Ahnung für diese faszinierende Kultur bekommen. Einen Einblick, der tiefer geht, als der der Pauschaltouristen. Wo es möglich war, haben wir uns angepasst und versucht, das Land und seine Menschen zu verstehen. Es ist uns in weiten Teilen gelungen.
Info
Der abgedruckte Artikel ist ein Auszug aus dem Fahrtenbericht, der 2008 den »Hermann von Schroedel-Preis« (haddak 1/08 berichtete) gewonnen hat. Der ungekürzte Text kann unter www.dpvonline.de eingesehen werden.
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