Was ist Eigentum? Juristisch gesehen bedeutet es, mit einer Sache nach Belieben umzugehen und andere Leute nach eigenen Vorstellungen von der Einwirkung auf der Sache auszuschließen.
Sassi: Doch eine Sache kann auch herrenlos werden, das heißt, dass es keinen Eigentümer und keine eigentümerähnliche Stellung. Wann ist das der Fall? Auch das kann man juristisch definieren. Gem. § 959 Bürgerliches Gesetzbuch wird eine Sache herrenlos, wenn der Eigentümer den Besitz an der Sache abgibt in der Absicht auf dieses zu verzichten.
Ist das dann auch der Fall, wenn ich meine Kamera auf meinen Schlafplatz im Zelt werfe? Jeder hat Zugriff, jeder kann sie sich nehmen. Und ich mach ja auch kein Schild dran, dass sie keiner nehmen darf. Es bleibt aber immer noch meine Kamera, denn ich lege sie ja nicht in der Absicht dahin, sie nicht mehr haben zu wollen.
Um dieser Frage genauer auf den Grund zu gehen, wollen wir die Entwicklung des Eigentums mal genauer untersuchen und darlegen, wie das bei uns auf Lagern und anderen Veranstaltungen gehandhabt wird.
Eigentum ist Diebstahl!
Fabian: Ach was, Eigentum ist Diebstahl! »Der erste, der ein Stück Land mit einem Zaun umgab und auf den Gedanken kam zu sagen ‚Dies gehört mir‘ und der Leute fand, die einfältig genug waren, ihm zu glauben, war der eigentliche Begründer der bürgerlichen Gesellschaft. Wie viele Verbrechen, Kriege, Morde, wieviel Elend und Schrecken wäre dem Menschengeschlecht erspart geblieben, wenn jemand die Pfähle ausgerissen und seinen Mitmenschen zugerufen hätte: ‚Hütet euch, dem Betrüger Glauben zu schenken; ihr seid verloren, wenn ihr vergesst, dass zwar die Früchte allen, aber die Erde niemandem gehört‘.« (Rousseaus Discours). Das ganze bürgerliche Recht schützt doch nur den Besitz der Vermögenden! Natürliches Eigentum habe ich nur an mir selbst! Frieden den Zelten, Krieg den Palästen!
Es ist doch gerade das Schöne in der kleinen Parallelwelt eines Pfadfinderlagers, diese bürgerlichen Kategorien hinter sich zu lassen! Macht dieses einfache Leben uns nicht so wunderschön gleich und demonstrieren wir nicht gerade, wie wenig materieller Besitz wirklich zählt? Auch wenn ich die Kamera wegnehme gehört sich dann ja nicht mir, sondern jedem der sie gerade braucht. Eigentlich ist so ein Lager doch das Idealbild einer sozialistischen Utopie: Alles wird geteilt, jeder hat gleich wenig und das Küchenzelt gehört allen, auch wenn wir mithelfen müssen.
Sassi: Nicht schlecht! Aber wenn doch alles allen gehört, wieso haben wir dann diese Rechtsordnung? Natürlich habe ich nichts dagegen, wenn man meine Kamera nimmt, solange sie am Ende wieder am gleichen Platz liegt und unbeschädigt ist.
Ich fahre gerne auf Lager, und ich teile auch alles was ich dabei habe. Nichtsdestotrotz befinden wir uns nicht in einer Parallelwelt. Auf Pfadfinderlagern gelten die gleichen Regeln wie sie auch zu Hause gelten. Aus diesem Grund gehört nicht alles allen, sondern jedem wird ein Gebrauchsrecht eingerichtet. Genau das ist es ja auch, was wir den Kindern beibringen. Sie sollen fragen und bitten, wenn sie etwas möchten und lernen, dass sie nicht einfach nehmen können, was ihnen nicht gehört.
Auf der anderen Seite kann man natürlich sagen, dass das Küchenzelt, oder zumindest sein Inhalt, allen gehört. Wir zahlen alle den gleichen Preis und bekommen alle das Gleiche zu Essen. Dieses Essen wird aus dem gemeinsamen Topf »Essensgeld« genommen, in den von jedem Beitrag der gleiche Teil einfließt. Doch gehört mir dann auch dieses Essensgeld komplett? Oder nur mein Teil? Darf ich deswegen auf das ganze Essen einen Anspruch stellen oder nur auf den mir zustehenden Teil, der dann soviel wert ist, wie ich eingezahlt habe? Ich trage meinen Teil bei, indem ich mithelfe zu kochen und zu spülen. Doch ein kleiner Wölfling isst deutlich weniger als ich oder nicht?
Die Zeiten, in denen alles allen gehört und niemand auf einen bestimmten Gegenstand einzelnen Anspruch anmelden konnte sind lange vorbei.
Die Zeiten, in denen alles allen gehört und niemand auf einen bestimmten Gegenstand einzelnen Anspruch anmelden konnte sind lange vorbei. Die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt. Heute zählt nicht mehr der Tausch Äpfel gegen Kartoffeln. Und aus diesem Grund muss auch bei uns das Eigentum der anderen geachtet und berücksichtigt werden, auch wenn es da bei uns lockerer zugeht, als es in anderen Situationen der Fall ist.
Fabian: Es stimmt ja schon, dass Eigentum und so auch seinen Sinn hat. Sonst könnte ich mir ja auch nichts aufbauen, ansparen oder verschenken! Außerdem sind es ja auch nicht nur materielle Dinge wie z.B. diese Kamera, sondern auch persönliche Sachen, wie die Bilder darauf, die das Eigentumsrecht schützt. Eine Kamera kann man nachkaufen, die Bilder nicht. Aber manche Gegenstände bedeuten mir halt auch einfach mehr als jemand anderem. So ist das Fahrtenmesser, mit dem ich schon so viele Köstlichkeiten am Feuer vorbereitet habe, mir bestimmt viel mehr Wert als jemand anderem oder der Preis, den es beim Verkauf erzielen könnte. Es gibt Dinge, die gehören einfach mir!
Das Pfadfinderlager bleibt für mich aber trotzdem ein kleiner Gegenentwurf zu unserer Gesellschaft. Geschützt, auf Zeit und in einer kleinen Blase aus Utopie, aber dennoch! Es ist aber nicht der Verzicht auf Eigentumsrechte, der diesen Gegenentwurf ausmacht. Vielmehr ist es doch die gelebte Gemeinschaft in der wir A: so ziemlich alles für den Gebrauch teilen, was wir haben und B: erst garnicht so viel Zeug dabei haben, dass Ungleichheit ein großes Thema wäre. Wer sein Eigentum auf dem Rücken mit sich schleppt kann bei den Pfadfindern hautnah erfahren, was für ein Ballast der ganze »Reichtum« sein kann, den wir uns anhäufen. Gleichzeitig können wir in unserer kleinen Parallelwelt den ganzen Konflikt zwischen Arbeit und Kapital herrlich ausblenden. Bei unseren Lagern zahlen schließlich alle und gleichzeitig sind alle Konsumenten wie auch Produzenten, Veranstalter und Kunde: In der Organisation, der Küche, in den AGs und der Singerunde. Wenn auch Teilen und gemeinsam Spaß haben das Schönste ist, so sollte es doch auch möglich sein, jedem etwas eigenes zu lassen. Dann kann aus den vielen »Ich« ein »Wir« werden und dann spielt es auch keine Rolle mehr, wer wie viel hat und wer nicht.
Sassi: Hm, okay vielleicht können wir uns ja auf folgendes einigen: Unsere Lager sind vielleicht keine komplette kleine eigene Welt, in der die Regeln der Gesellschaft nicht gelten. Aber ich bin bereit zuzugeben, dass bei uns die Regeln etwas lockerer sind, eben weil wir den Kindern von Anfang an beibringen, dass sie das, was sie dabei haben immer mit den anderen teilen sollen. Wir bezahlen alle denselben Preis, was uns umso mehr alle gleich macht. Wir stehen alle auf einer Ebene, niemandem gehört mehr als dem anderen. Und genau das sollten wir genießen, solange wir es können. Denn es sind oft nur ein paar Wochen im Jahr, in denen das möglich ist.
Um auf das Beispiel der Kamera zurückzukommen: Gerade auf einem Lager möchte ich möglichst viele Eindrücke mit nach Hause nehmen. Doch ich hab natürlich nicht immer die Zeit oder die Möglichkeit dazu, in allen Situationen Bilder zu machen. Daher bin ich froh, wenn sich ein anderer die Kamera schnappt. Und am Ende bekommen sie ja doch alle zu sehen, wir zeigen sie den Eltern und wer möchte, bekommt sie auch auf einen Datenträger seiner Wahl gebannt.
Beide: Letztendlich gelten die Eigentumsregeln auch auf unseren Lagern, auch wenn wir sie für uns anders definieren und auch anders leben. Natürlich achten wir das, was anderen gehört und behandeln es so, wie wir auch unsere Sachen behandeln, nämlich pfleglich und vernünftig. Man kann vielleicht nicht sagen, dass allen alles gehört, aber aufgrund unsere Gruppendynamik und der Art der Lageraufteilung kann man schon sagen, dass zumindest ein gewisses Gemeinschaftseigentum besteht.
Sassi und Fabian, Stamm Wikinger
Exkurs: Was ist »Eigentum«?
In der heutigen Zeit bezeichnet der Begriff »Eigentum« (abgleitet vom lateinischen »proprietas«, »eigen«) das Recht einer Person zur Verfügung über eine Sache. Dieses bedeutet in Deutschland, dass der Eigentümer einen Dritten vor jeglicher Einwirkung auf diese Sache auszuschließen berechtigt ist (§903 BGB). Hiervon zu unterscheiden ist der Besitz, mit dem die tatsächliche Gewalt über eine Sache bezeichnet wird (§ 854 BGB). So bin ich, wenn ich eine Auto miete zwar »Besitzer«, aber nicht »Eigentümer« des Autos, da die direkte Verfügung über einen Gegenstand von den damit verbundenen Rechten unterschieden wird.
Das Recht, die Früchte der Natur für sich frei zu nutzen, ist biblisch gesichert aber in Europa umkämpft. Seit dort die gesamte Landfläche unter die Herrschaft verschiedenster Fürsten gefallen ist, werden Ansprüche erhoben und Rechte geltend gemacht. So ist das Wild eben nicht wild sondern für den König zur Jagd reserviert. Im Feudalismus ist der Boden des Landes »Eigentum« des Königs. Er überlässt es Gefolgsleuten als »Lehen« und sichert so seine Machtbasis. Die Bauern bewirtschaften nicht ihr eigenes Eigentum sondern befinden sich oft als »Leibeigene« sogar selbst im Eigentum ihrer Landesherren, für die sie die Früchte des Ackers ernten. Gleichzeitig gibt es lange Zeit die Einrichtung der »Allmende« als frühe Form gemeinschaftlichen Eigentums. Als eine Art »öffentliches Gut« steht z.B. eine Weide für die Nutzung aller Gemeindemitglieder zur Verfügung.
Entscheidend für unseren modernen Eigentumsbegriff ist der Aufstieg des Bürgertums in England. Dieses emanzipiert sich vom absoluten Machtanspruch des Königs und aus den Ständevertretungen erwächst ein Parlament, das sich mit den bill of rights von 1688 seine Rechte sichert. Die Sicherung des Rechts auf Eigentums war dabei ebenso wie das Recht auf Freiheit, Gesundheit und Leben gegen die Willkür des Königs gerichtet. Ein wichtiger Vertreter war hier John Locke, der mit einem Naturrecht argumentierte. Grundsätzlich besteht darin nur Eigentum an der eigenen Person. Wenn ich aber z.B. Früchte aufsammle, entreiße ich sie dem Naturzustand und verbinde sie durch meine Arbeit mit meiner Person zu meinem Eigentum. Lasse ich diese Früchte jedoch verderben, gehen sie zurück in den Naturzustand.
Mit der Neuzeit wandelt sich die Gesellschaft und gerade in England vermischt sich aufstrebendes Bürgertum mit dem Adel. Die Bewirtschaftung von Eigentum und der ökonomische Profit ermöglichen nun zunehmend auch Statusgewinn. So wurden zuvor offen zugängliche Weiden mit der wachsenden Bedeutung der Woll-Produktion von Ihren Eigentümern eingezäunt, die so ihr Eigentumsrecht gegen den Gedanken einer Allmende durchsetzten. Dadurch konnte das Land seine Bewohner nicht mehr ernähren, die in die Städte strömten und dort als Lohnarbeiter ihr Geld verdienen mussten. War die Verteidigung von Eigentumsrechten zunächst ein Akt bürgerlicher Emanzipation gegen den König, so musste sich diese Rechte nun in der »Sozialen Frage« mit den Ansprüchen einer aufstrebenden »Arbeiterklasse« auseinandersetzen, die mit ihrer Hände Arbeit die Wertschöpfung für die Unternehmer produzierte. Hier entstand der auch heute noch aktuelle Konflikt zwischen Arbeit und Kapital, der im Begriff des Eigentums mitschwingt.
»Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Grundgesetz, Artikel 14 (2)
- Literatur:
Locke, John: Two Treatises of Government (1690)
Robert Owen: Lectures on the Rational System of Society. (1841)
Polanyi, Karl: The Great Transformation (1944)
John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, (1979 )
Mitreden!