Die ersten drei Monate des Jahres 2015 habe ich am anderen Ende der Welt verbracht und unter anderem das Waisenhaus der René Pedrozo Stiftung in Pandi, unser soziales Projekt, auf den Philippinen besucht. In knapp zwei Monaten dort habe ich die Arbeit vor Ort kennengelernt und mich von der Sinnhaftigkeit überzeugen können. Ich habe im Waisenhaus gelebt, die Mädchen dort sehr lieb gewonnen und das Leben und die Geschichten verschiedenster Patenfamilien kennengelernt. Eine sehr prägende Zeit, von der ich euch nun nach und nach im haddak berichten möchte. Es folgen die Tagebucheinträge der ersten Tage vor Ort.
Tag 1:
Nun bin ich runter von den schönen Neuseeland-Inseln. Nachdem ich meine letzte Nacht dort durchgemacht habe, indem ich mit ein paar alten Bekannten meiner Reise das Nachtleben Aucklands kennengelernt habe, habe ich mir ein kurzes eineinhalbstündiges Schläfchen auf dem Boden des Flughafens Sydney gegönnt.
Nicht wirklich erholsam, wenn man alle zehn Minuten mit Herzrasen hochschreckt, weil eine laute Lautsprecherstimme eine Menge asiatischer Namen durchruft, die wohl gerade dabei sind ihren Flug zu verpassen.
Wifi funktioniert nicht und so ist eine andere Möglichkeit, neben schlafen, noch essen. Um mir die Zeit bis zum nächsten Flug zu vertreiben habe ich mir eine breite Palette an unbekannten Schokoladenriegeln gekauft und bin fleißig am Mampfen (vielleicht auch ein bisschen aus Angst, erst mal länger nichts zu bekommen).
Schokolade, nicht die beste Art mit Frust umzugehen! Ich verspüre durchaus einen gewissen Frust Neuseeland verlassen zu haben. Gerade probiere ich »Dark chocolate ginger fudge,« made in Australia (habe schon Leckereres gekostet). z.B. Nougat Honeyfudge, namens »Europe« ist aber aus Australien. Und Whittakerschokolade aus Neuseeland. Köstlich!
Mein Flug hat etwas Verspätung. Beim Einchecken komme ich mir vor wie ein Riese. 2/3 der eincheckenden Gäste sind 1-2 Köpfe kleiner als ich. Mein Sitznachbar ist nett, aber er hat einen furchtbaren Mundgeruch. Jjippiiiee das werden schöne acht Stunden!
Der Manila Flughafen wirkt sehr improvisiert. Der junge Mann von der Passkontrolle entspricht nicht dem emotionslosen Bild, das sich bisher für mich für diese Berufsgruppe bestätigt hatte, nein. Er fängt fröhlich zu plaudern an und ich werde über mein Instrument, meine Lieblingsband und den Grund meines Aufenthalts auf den Philippinen ausgefragt. Gepäckkontrolle oder Zoll? Sowas gibt‘s wohl nicht in Manila. Es gibt auch keinen richtigen Ankunftsraum. Man holt sein Gepäck und steht dann quasi direkt auf der Straße.
Gepäckkontrolle oder Zoll? Sowas gibt‘s wohl nicht in Manila.
Durch Glück und eine hilfsbereite Philippina, treffe ich den Neffen von Camelita Pedrozo, Naldy, der mich zusammen mit seiner Frau Jenny vom Flughafen abholt.
Die Straßen von Manila sind ziemlich busy. Die Autos sind grundsätzlich ziemlich alt. Überall fahren Triangels (Motorräder mit Beiwagen) und Jeepnys (siehe Foto) und es gibt um ein vielfaches mehr Rollerfahrer als bei uns.
Das ergibt ein wunderbar chaotisches und interessantes Straßenbild. Insbesondere, weil jeder seinen eigenen Regeln folgt. Unser Minibus hat nur auf einem Sitz einen improvisierten Gurt. Er ist nicht für meine Größe ausgelegt, so muss ich aufpassen, dass ich mir nicht ständig den Kopf stoße (leider habe ich es bis zum Ende nicht gelernt). Es scheint so, als könnte es viel schneller vorangehen, wenn alles etwas geordneter zugehen würde. Aber so ist es nun mal nicht und so hängen wir im Verkehr fest. Immer wieder kreuzen Fußgänger die Straßen. Auf der Hauptstraße sehe ich zwei kleine, dünne Mädchen laufen, vielleicht sechs Jahre alt. Eins von Ihnen trägt ein Kleinkind auf dem Rücken. Es ist dunkel und die Leute fahren wie die Irren! So gefährlich für die Kinder, und sie sind ganz alleine unterwegs mitten in der Hauptstadt! Später werde ich feststellen, dass Kinder, um die sich niemand kümmert, alles andere als eine Besonderheit sind auf den Philippinen.
Wir versuchen Geld abzuheben. Aber drei der Automaten, die wir ansteuern, sind »out of cash at the moment«.
Als wir einen finden, ist es ein komisches Gefühl 10 000 Peso in den Automaten einzutippen und abzuheben. Das sind umgerechnet 200 Euro. Ich verpasse viel von der Autofahrt zum Waisenhaus. In NZ ist es schon wieder halb fünf am Morgen. Das heißt, meine zweite Nacht ohne Schlaf hat begonnen, abgesehen von vielleicht drei unerholsamen Stunden im Flugzeug, und mir fallen die Augen zu. Was mir noch auffällt ist, dass es viele, viele Straßenhunde und Katzen gibt. Im Waisenhaus angekommen warten noch ein paar aufgeregte Mädels und öffnen uns das Tor. Nach einem kurzen »Hallo« geht es direkt ins Bett, wo ich unmittelbar in einem tiefen, tiefen Schlaf versinke – Ortszeit 0.00 Uhr.
Tag 2
Ich hab mein eigenes Zimmer im Waisenhaus mit einem breiten Bett und meinem eigenen Bad und Kühlschrank. Die Mädchen haben keine richtige Matratze und schlafen mit bis zu 13 Personen in einem Zimmer. So komme ich mir etwas schlecht vor. Ich bin aber froh, dass ich ein richtiges Bett habe und einen Rückzugsort.
Heute Morgen waren die Mädels ganz aufgeregt, als ich aus dem Zimmer trat. Sie haben mich auf Schritt und Tritt verfolgt, mich inspiziert, z.B. meine Haare angefasst, und waren fasziniert wie groß ich bin und dass meine Nase so anders ist als ihre. Es gab Reis zum Frühstück.
Die Sprachbarriere ist nicht so einfach, aber es klappt schon. Nach ein paar Runden Zeitungsschlagen kann ich schon fast alle Namen der momentan 18 Mädels. Und das ist wirklich eine Leistung, wenn alle die Gleiche Haut-, Augen- und Haarfarbe haben sowie die gleichen Nasen und Augenpartien! Die Mädchen sind sehr liebenswert! Leider konnte ich nach dem ersten Kleiderwechsel die gelernten Namen nicht mehr den passenden Kindern zuordnen.
Sicher interessiert es euch, wie es im Waisenhaus aussieht. Das stabil gebaute Haus besteht aus zwei Etagen. Das Haus wird von einem Garten umgeben, in dem Hühner, Enten und Hasen gehalten werden. Außerdem wird Gemüse angepflanzt. Bis auf die Tomaten kannte ich jedoch keine dieser Gemüsesorten. Aber lecker waren sie. Auch ein paar eigenartige Früchte findet man im Garten.
Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich der große Schlafsaal für die jüngeren Mädchen. Außerdem die Küche, der Speise- und Aufenthaltsraum, das Krankenzimmer, das Zimmer der Hausmütter, sowie der sogenannte Stuck Room, in dem alle möglichen Sachspenden aus Deutschland gelagert sind. Im Obergeschoss ist mein Zimmer, sowie zwei kleinere Schlafsäle für die älteren Mädchen, ein großer Flur mit Balkon und ein großes Versammlungszimmer, in dem sich einmal im Monat alle Patenfamilien treffen und das auch als Schulungsraum dient.
Die Einladung zum Lunch mit Naldy‘s Familie war ein Erlebnis. Es wurde ein Tisch mit frischen Bananenblättern ausgelegt, darauf wird das Essen serviert. Jeder hat einen Haufen Reis vor sich. Dazu gibt es verschiedenes Gemüse, das ich wiederum noch nie gesehen habe, und Fleisch. Gemixt und gegessen wird mit den Händen. Zum Nachtisch gab es die leckerste Mango, die ich je hatte!
Das mit der Internetverbindung gestaltet sich hier etwas schwierig. Ein Anbieter hatte die Region bereits mit Netz versorgt, bis sich ein paar Menschen an den Kupferkabeln bereichert haben. Da war sie wieder weg, die Internetverbindung.
Ein paar Wörter Tagalog kann ich schon. Die Mädels sind motiviert mir etwas von ihrer Sprache beizubringen. »Masarap« bedeutet, dass das Essen schmeckt. »Magandan«, wenn einen jemand hübsch findet. Nicht selten hört man als Europäer dieses Wort, denn unsere Größe, die langen Nasen und die helle Haut, werden als schön angesehen. Verrückt, dass die Menschen zu Hause Bräunungscreme benutzen und sich die Frauen hier mit Haut bleichender Creme einschmieren und sich mit Puder weißen.
Verrückt, dass die Menschen zu Hause Bräunungscreme benutzen und sich die Frauen hier mit Haut bleichender Creme einschmieren und sich mit Puder weißen.
Tag 3
Für die Mädels beginnt der Tag schon um 4 Uhr morgens mit Frühstück, fertig machen für die Schule, Hausarbeit und zur Schule fahren. Ich habe heute ausgeschlafen, denn ich bin immer noch dauermüde von der anstrengenden Reise!
Bei einem Spaziergang stelle ich fest, dass ich die Hauptattraktion auf den Straßen bin. Jeder dreht sich auf der Straße nach mir um. Jedes zweite vorbeifahrende Auto/Roller hupt. Einen weißen, fremd aussehenden Riesen sieht man hier in den ländlicheren Regionen wohl nicht so oft. Ein komisches Gefühl! Gefühlt jede zweite Familie an der »Hauptstraße« besitzt einen eigenen kleinen Kiosk, in dem es jede Menge vor allem ungesunde Snacks, zu kaufen gibt. Nähgarn einkaufen gestaltet sich gar nicht so einfach, denn obwohl Englisch auf den Philippinen Amtssprache ist, sprechen es doch nicht so viele Menschen und wenn, dann eher bröckchenweise, mit seltsamer Aussprache. Grund hierfür ist die fehlende Schulbildung vieler. Sicherlich auch ein Grund für den ganzen Müll, der überall herumfliegt. Den schmeißen die Leute hier nämlich einfach auf den Boden. Wenn es etwas gibt, was den Leuten hier fehlt, dann auf jeden Fall Bildung und Aufklärung über Umwelt usw. Ein bisschen ärgere ich mich, dass ich mich nicht gegen Tollwut habe impfen lassen. Hier gibt es echt viele abgemagerte Straßenhunde und Katzen, nicht wenige sind verwundet.
Am Abend lerne ich meine Zimmergenossen kennen. Eine kleine Eidechse, sowie einige Ameisen und befremdlich aussehende Insekten.
Wie ich am darauffolgenden Tag, Gina, das Patenkind meines Stammes kennengelernt habe, was ich beim Besuch der Familie erlebt und empfunden habe und was sich aus dem Besuch entwickelt hat, das erfahrt ihr im nächsten haddak. Auch den Besuch der Schulen der Waisenmädchen und vieles anderes möchte ich euch nicht vorenthalten.
Mitreden!